WERK X – Petersplatz /// 25. Oktober 2018 /// Ein Staatenloser
Ständige Kontrolle und Bewachung, die einen zur Anpassungsfähigkeit zwingen – so beschreibt Alireza Daryanavard die Gesellschaft in seinem Heimatland Iran.
Am Donnerstagabend im WERK X – Petersplatz erzählt Alireza Daryanavard, der gleichzeitig Autor und Schauspieler ist, in dem Einpersonenstück „Ein Staatenloser“ seine Geschichte: Verschiedene Szenen aus dem eigenen Leben verknüpft er zu einem Erzählstrang, der über das repressive und angsterfüllte Leben aus dem Iran, seiner Liebe zum Theater und seiner Flucht über Istanbul nach Österreich berichtet. Es sind zahlreiche Erfahrungen und Erinnerungen, die er zu einem facettenreichen und künstlerischen Stück formt.
Durch den Einsatz von Auszügen seines Videotagebuches, das über seine Flucht berichtet, aufwendigen Lichtinstallationen und Gesang, sensibilisiert Daryanavard die Zuschauer*innen für die Freiheit der Kunst und ihre Grenzen. Er kritisiert ein System, das Menschen zu Marionetten – einem gesellschaftlichen Sprachrohr macht – und damit Individualität ausrottet und künstlerische Entfaltung erstickt.
Mehre Passagen performt Daryanavard in seiner Muttersprache Farsi. Natürlich kann man anhand des gegeben inhaltlichen Kontextes die Leerstellen durch ein Erahnen füllen, doch kreiert das Nichtverstehen der fremden Sprache eine gewisse Distanz zu dem Dargestellten. Es stellt sich die Frage: Können wir als wohlbehütete Bürger jemals greifen, was der Mann auf der Bühne erlebt hat?
Das Zusammenspiel von Nähe und Distanz wird durch die Raumbewegungen des Darstellers zusätzlich ausgedrückt. Unter verkrampften und zuckenden Bewegungen spricht er abwechselnd frontal zu dem Publikum oder kehrt sich von diesem ab, um in die vor den Zäunen aufgestellten Spiegel zu sprechen. Das entstehende Spiegelbild, wird zu einem wichtigen Element, dass nicht nur ein Bild eines kollektiven Bewusstseins suggeriert, sondern auch auf einen immer wieder aufkommenden Identitätskonflikt hinweist: Ein geflüchteter Mann. Ein Heimatloser. Ein Staatenloser!
Nimmt man an, das Stück hätte einen zweiten Akt, würde dieser mit der Ankunft in Österreich einsetzen, der mit einer Rot-Weißen Lichtprojektion auf das Bühnenbild, die an die Österreichische Flagge erinnert, visualisiert wird. Stimmen aus dem Off versprechen ihm hier ein Ort „an dem es jedem gut geht“, „an dem jeder akzeptiert wird“ und „jeder ein Recht auf Freiheit hat“.
Doch ist es wirklich Freiheit, die ihn hier in Österreich erwartet?
Das sehnsüchtig erwartete Paradies der österreichischen Demokratie enthüllt sich als ein Ort, wo man ebenso mit Machstrukturen und Borniertheit konfrontiert ist, und an dem man wieder…“BRAV sein muss“. Mit diesem Denkanstoß spannt Daryanavard einen thematischen Bogen zu der Anfangsszene seines Stückes und rüttelt das Publikum auf, auch über seine eigene Heimat Österreich zu reflektieren.
Neben der schauspielerischen Leistung ist die musikalisch experimentelle Begleitung von Klaus Karlbauer zu bewundern, der durch aggressives Zupfen und sanftes Streichen mit einem Geigenbogen auf den Seiten eines E-Basses für passende Stimmungen sorgt.
Es sind die zahlreichen Effekte, ein Text mit realen Bezügen und die Tatsache, dass die Grenze zwischen Rolle und Darsteller verschwimmt, die den Zuschauer in einen Strudel an Emotionen und Eindrücken mitreißt, sodass ihn ein kalter Schauer über den Rücken läuft und ihn erschaudern lässt.
„Anfangs war ich skeptisch, darüber was mich erwarten wird… Jetzt bin ich unglaublich froh, dass ich Ausschnitte aus dem Leben Alirezas mit ihm teilen durfte“, berichtete mir ein Zuschauer nach der Aufführung beim Rauslaufen.
Eine ergreifende Geschichte über Flucht, Heimat und sein Kampf für künstlerische Freiheit, die absolut empfehlenswert ist, sich anzusehen!
Ein Staatenloser von Alireza Daryanavard
Eine Produktion Alireza Daryanavard, gefördert durch das BKA mit Unterstützung der Wienwoche in Kooperation mit WERK X-Petersplatz
Inszenierung: Flo Staffelmayer, Alireza Daryanavard
Szenografie: Eleni Palles
Musik: Klaus Karlbauer
Dramaturgie: Barbara Hörtnagl
Produktion: Dilan Sengül
Grafik: process.studio
Video: Fesih Alpagu
Mit: Alireza Daryanavard
Mehr Informationen: Ein Staatenloser
Hier geht es zu unserem Neue Wiener – Interview mit Alireza: Alireza Daryanavard über „Ein Staatenloser“, sein neues Stück und Theater im Iran
Bildrechte: (c) Alexander Gotter