Eine Produktion von E3 Ensemble und Perflux, in Kooperation mit das OFF-Theater Wien /// 4. Juni 2021 /// MUTTER
Die sechs Darsteller*innen des Künstler*innenkollektivs E3Ensemble in der freien Wiener Theaterszene bieten mit ihrer musikalischen Performance MUTTER einen feinen Wiedereinstieg in das Theaterleben nach der coronabedingten Bühnenpause. Mit optimal vorbereiteten Sicherheitsvorkehrungen und einem gut gelaunten Publikum schaffen sie eine besondere Raumatmosphäre, voller Freude über das wiedergewonnen Beisammensein.
Vier Charaktere stolpern zwischen Überforderung, Einsamkeit und Übersättigung der gegenwärtigen Gesellschaft umher, auf der Suche nach ihren eigenen “Wurzeln”.
Auf die Mitte der Bühne fällt unerwartet und mutterseelenallein eine Pflanze auf den Boden. Die Charaktere schauen sie fasziniert und gleichzeitig befremdlich an. Fürsorglich schaffen sie stöhnend säckeweise Erde heran, um sie einzupflanzen. Sie schätzen die Pflanze, tanzen zeremonieartig, gemeinsam mit drei Blasmusikern, um sie herum. Brauchbare Fähigkeiten sich um sie zu kümmern haben sie aber nicht. Jeder ist mit sich selbst und seinen Alltagsdilemmata beschäftigt, damit überlastet und alleine.
Gerald Walsberger verzweifelt in seiner Rolle an der Informationsfülle des Internets, das ihm doch nicht die passende Information liefern kann, nach der er sucht. Die 1/8 Italienerin mit langen geflochtenen Zöpfen, (Michaela Schausberger) die eigentlich aus der Steiermark kommt, versucht die Anderen von ihren italienischen Wurzeln zu überzeugen. Aber 1/8 scheinen nicht auszureichen, um dazuzugehören. Die Grenzen von Ethnie und Herkunft sind klar definiert, Spaghetti essen und den Sommer in Italien verbringen reicht nicht aus. Zudem seien “Spaghetti” in diesem Kontext Länder-klischees und damit rassistisch, bekommt sie von ihrem Gegenüber zu hören. Das wird zum Konflikt gemacht. Was darf man eigentlich noch sagen, um politisch korrekt zu sein? Die Gefahr liegt wohl auch in der Bildung.
Die Gefühle in der Erinnerung an die gescheiterten Liebesbeziehung zu Paul kommen zu spät:
„Gefühl war nicht, ist nicht mehr“,
bemerkt daneben Isabella Jeschke aufgewühlt. Der Anspruch ist “weitermachen”, die wahren Emotionen der einzelnen Charaktere werden dabei zurückgehalten. Nun soll gehetzt mit verkrampften Körper-Übungen im Kreis das „Atmen“ und „Rasten“ die innere Ruhe wieder hergestellt werden und “Bewusstseinsfelder” geschaffen werden. Die Kresse im Eigenheim wird zwar behutsam gezüchtet, erzählt Gerald Walsberger, doch am Ende radikal und rücksichtslos gestutzt und zum Verzehr aufs Butterbrot gelegt. Die Moral habe nachgelassen. Die Rücksichtslosigkeit würde naiv auf die Natur geschoben, um sich nicht um das eigene Bewusstsein der Umwelt kümmern zu müssen. Sie überflute die Erde und lösche die Menschen aus, lautet hierzu die Metapher.
Die Charaktere versuchen ein Geschäft mit der Gesellschaft zu machen, um Teil von ihr zu sein. In ihrem Versuch, den Zwängen und Erwartungen gerecht zu werden merken sie zu spät, dass sie sich selbst verloren haben. Eine knapp 1,5 Stunden kurze exzentrische Theaterperformance, die unterhaltend erleben lässt und auf eine abgedrehte und schrullige Weise zum Nachdenken über Fragen in der schnelllebige westlichen Welt anregt. Mit einer ironisch-kritischen Performance weist dieses Gegenwartstheater mit Kreativität auf die Individualität des Einzelnen und eine übersättigte Gesellschaft, mit der sie den Zeitgeist trifft.