Auf Edition Burgtheater sind seit April „legendäre Inszenierungen, die das Bild dieses Hauses prägten und veränderten, zu Klassikern wurden und ästhetische Haltbarkeit bewiesen“ streambar. Am Montag, 11.05., war in diesem Format „Othello“ in einer Inszenierung von George Tabori (1990), die sich des Black-Facings bedient, zu sehen.
Neue Wiener Theaterkritik nimmt dies als Ausgangspunkt, um im Rahmen eines Schwerpunktformats zu den Themen strukturelle Diskriminierung und Machtstrukturen, insbesondere im Theaterbereich, sowie zur Praktik des Black-Facings diverse Perspektiven zu präsentieren.
Diese Woche hat Dramaturg und Dramatiker Necati Öziri unsere Fragen schriftlich beantwortet.
Wie schätzt du als Dramaturg und Dramatiker die Spielpläne deutschsprachiger Theater ein? Insbesondere in Hinblick auf koloniale Denkmuster und Strukturen.
Es gibt eine Gleichzeitigkeit unterschiedlicher Tendenzen in den Stadttheatern: Erstens sind da zunächst jene Theatermacher*innen, welche bspw. die Verwendung von Blackfacing und N-Wort immer noch ernsthaft verteidigen. Deren Stern geht unter. (Inzwischen haben wirklich die aller meisten akzeptiert, dass diese Praktiken heutzutage einfach nicht mehr zu rechtfertigen sind, weder ästhetisch noch politisch. Leider folgt diese Akzeptanz manchmal weniger aus moralischer Überzeugung, sondern mehr aus Angst vor der vehementen Kritik und dem Skandal, den Praktiken wie Blackfacing zu Recht auslösen.)
Dann gibt es noch jene Institutionen, die gerade das Konzept von „Diversity“ für sich entdecken. Sie versuchen den gleichen Spielplan und dieselben Formate wie bisher, aber mit anderen Gesichtern zu produzieren, mehr Frauen, mehr Artists of Color[1] und so weiter. Das finde ich erstmal begrüßenswert, leider ist es häufig nicht intersektional[2] gedacht und ändert noch längst nicht die bestehenden Machtstrukturen hinter dem Spielplan.
Und schließlich gibt es immer mehr progressive Strömungen, auch die Strukturen hinter den Spielplänen zu reformieren und die entscheidenden Fragen anzugehen: Was bedeutet Leitung im Theater, was Regie? Wie messen wir Erfolg? Was könnte ein Umgang mit Zeit und Druck sein? Wie sieht eine faire Bezahlung von Regie und allen anderen Positionen aus? Was ist institutional allyship? Wie können wir eher Prozesse mit dem Publikum teilen, als fertige Werke und Ergebnisse zu positionieren? Wie kann die Position des Publikums insgesamt aufgebrochen werden, wer schaut hier wen an usw.?
Diese gesellschafts-politischen Überlegungen führen häufig auch zu anderen ästhetischen Formaten und dann wird es spannend. In Bezug auf diese Fragen leisten in meinen Augen vor allem auch die Festivals und Produktionshäuser einen sehr wichtigen Beitrag.
In deinem Stück „Die Verlobung in St. Domingo – ein Widerspruch“ (2019) setzt du dich kritisch mit Kleists Text auseinander und formulierst einen Gegenentwurf. Was meinst du mit „Widerspruch“ in diesem Kontext? Welche künstlerischen Strategien verwendest du, um den kolonial-imperialen Narrativen, Figuren und Konflikten zu „widersprechen“?
Im Gegensatz zu einer Überschreibung, bei der man häufig einen Text nimmt, den man im Kern toll findet (und dessen Konflikt man ins Heute holen, weiterschreiben oder ausbauen will), nehme ich Texte eher, um gegen ihre Intention (die ich natürlich hineinlese) anzuschreiben. Ich hab nichts übrig für affirmative Kunst.[3] Daher schreibe ich eher Widersprüche bzw. korrigiere deutsche, männliche Klassiker.
Ich versuche die gleiche Geschichte zu erzählen, d.h. mit denselben Figuren, in derselben historischen Konstellation und dann schaue ich, welche „Operationen“ muss ich vornehmen, damit ich diese Narration antirassistisch und antisexistisch erzählen kann? Das interessante an diesem Prozess ist für mich, dass ich durch diese Methode die unterdrückenden Tools genau lokalisieren und bearbeiten muss. Häufig stehen dabei folgende Fragen im Zentrum:
Welche Figur hat eine Vorgeschichte und welche keine?
Welcher Charakter hat Tiefe, wer kommt nur repräsentativ für eine Peer-Group, ein Gender, eine Klasse usw. in der Geschichte vor?
Welche Schlüsselszenen stellen welche Machtverhältnisse her? Was muss ich im Plot umdrehen, ändern, vielleicht einen anderen Schluss schreiben?
Wie muss ich in die Sprache eingreifen? (Das N-Wort herausstreichen ist wirklich die leichteste Operation, aber darum geht es nicht, sondern: Wie ein vermeintlich auktoriale Geschichte[4] mit Objektivitätsanspruch als subjektive Wahrnehmung darstellen?)
Wo zeigt der in dem Stoff gewählte historische Ausschnitt nur eine Seite der Geschichte, der Gewalt, der Überzeugung? Braucht es einen Prolog?
Wo kann ich eingreifen und die Kehrseite der Geschichte erzählen?
Es gibt natürlich immer noch den Moment, in dem Figuren etwas tun, womit man beim Schreiben selbst nicht gerechnet hat. Aber erstmal fange ich da an, wo Kleist verkürzt, weglässt, manipuliert – und darin war Kleist ein Meister. Nach und nach entsteht ein ganz anderes und neues Stück.
Einerseits mag ich diesen gewalttätigen Eingriff in den deutschen Literaturkanon, andererseits hat diese Geste ja selbst etwas Überhebliches. Und auch das meine ich mit dem Begriff „Widerspruch“: Nicht nur das Widersprechen, sondern auch das Widersprüchliche und Paradoxe dieses ganzen Vorhabens, das Dilemma, es als Künstler hier und heute „besser“ machen zu wollen, ja zu müssen, und doch zu wissen, dass man nur scheitern kann, weil man selbst Teil der Gewalt und der Geschichte ist. Deshalb ist die vielleicht wichtigste Operation immer auch die eigene Position, sich selbst hineinzuschreiben und andere einzuladen, mir zu widersprechen, mich zu korrigieren.
In „Die Verlobung in St. Domingo – ein Widerspruch“ stellst du folgende Bedingungen: „Jede Aufführung dieses Textes verlangt, dass mindestens zur Hälfte Schwarze[5] Menschen und Menschen mit Rassismuserfahrung besetzt werden. Jede Form des Blackfacings und jede Verwendung des N-Wortes ist untersagt“. Wie reagieren Theater auf diese Forderungen und wie beurteilst du diese Resonanz?
Diese „Quote“ ist ebenfalls eine dieser Operationen und sie hat drei Effekte zum Ziel: Erstens versuche ich damit jene Perspektive einzubinden, die mir (in diesem Fall als Artist of Color) in Bezug auf den Kontext fehlt. Gerade habe ich ein Stück über den Zusammenhang von Männlichkeit und Gewalt geschrieben und es gibt eine Frauen-Quote. Zweitens versucht die Quote auf der Probebühne eine Situation herzustellen, die in den Prozess qua Form einfließen lässt, was ich mir inhaltlich von dem Werk wünsche: Den Austausch unterschiedlicher Erfahrungen und Perspektiven. Drittens habe ich keine Lust mehr auf Theater, das nur „relevant“ ist. Ich will Theater, das eine Wirkung hat. Also schreibe ich andere Figuren und zwinge Theater ihre Ensemblepolitik zu überdenken bzw. andere Körper zu engagieren.
Bisher habe ich nicht viele Reaktionen von Theatern selbst mitgekriegt. Manche empfinden es als Eingriff in die Regie bzw. als Regieanweisung, dabei ist es ja eher eine Produktionsbedingung. Meistens arbeite ich aber im Vorfeld recht eng mit Regie und Theater zusammen, sodass es in der Regel die Möglichkeit gibt, meine Vorgehensweise zu erklären und zu begründen. Die Häuser wissen also, was sie erwartet, wenn sie einen Auftrag vergeben. Nachgespielt wird ohnehin nicht viel. Alle wollen das Label „Uraufführung“, am liebsten ganz schnell, wenige wollen einen Text, für den ich fast zwei Jahre intensiv recherchiert habe, nachspielen. In meinem Fall kommt dazu, dass viele glauben, sie können meine Stücke beim Nachspielen nicht besetzen. Den Fall, dass ich ein Projekt gar nicht angenommen haben, weil die Produktionsbedingung nicht erfüllt werden konnte, hatte ich erst einmal.
Bekannte Inszenierungen, die Black-Facing nutzten, werden nicht selten zu einem historischen Kulturgut erklärt und dadurch legitimiert. Kritischen Stimmen wird so ihre Berechtigung abgesprochen. Wie bewertest du im Jahr 2020 die Veröffentlichung des Streams einer Inszenierung aus den 1990ern, die sich des Black-Facings bedient, ohne auf den rassistischen Kontext (Minstrelsy)[6] zu verweisen und ohne die diskriminierende Praktik in der Stückbeschreibung zu dekonstruieren?
Ich finde die Frage, wie umgehen, mit unserer gewalttätigen Geschichte interessant, weil darin auch die Frage enthalten ist: Wieviel Gewalt, muss ich reproduzieren, um darüber sprechen und sie dekonstruieren zu können. Wenn ein Mann auf der Bühne eine Frau schlägt und dann hinterher sagt, das war jetzt übrigens sexistisch, macht es das ja noch nicht besser. Damit wurde die Gewalt noch nicht dekonstruiert. Selbst wenn wir also auf den rassistischen Kontext von Blackfacing in diesem Fall verweisen, würde die Verletzung meiner Ansicht nach immer noch stattfinden, weil sie ja in erneut dargestellt und (wenn auch als Stream) umgesetzt wird.
Ich bin eben eher ein Anhänger von heutiger künstlerischer Bearbeitung statt dokumentarischem Wiederkäuen mit Verweis auf die alte Zeit. Warum nicht Video-Künstler*innen, die ohnehin zu dem Thema arbeiten, fragen, ob und wie sie in den Stream eingreifen, widersprechen, korrigieren würden? Ich bin immer eher dafür, das Kunstwerk weiterzuentwickeln und zu schauen, ob sich kreatives Potenzial freilegen lässt. So entsteht vielleicht ein Palimpsest[7], in dem Künstler*innen mit einer Geschichte in Dialog treten und sich ermächtigen können. Und wenn sich das Material nicht eignet, um künstlerisches und dialektisches Potenzial heute freizusetzen, dann weg damit. Wofür brauchen wir es sonst? Sicher nicht, um uns in die Vergangenheit zu sehnen.
Was würdest du einem Theater raten, das sich als “Theater für alle” jenseits von sozialer Ausgrenzung und für eine offene und plurale Gesellschaft positionieren möchte?
Einerseits weniger Angst. Weniger Angst, etwas falsch zu machen. Viele beginnen gar nicht erst, weil sie glauben, dass ist nicht ihre Expertise. Viele unterschätzen auch immer noch das Publikum und fürchten, es sei nicht bereit für eine dekoloniale[8] Umkehr des Blickes. Meiner Erfahrung nach sind es eher die Häuser, die sich damit schwer tun als das Publikum. Dann überlassen sie die Reformierung ihrer Struktur anderen, weil die ja „dieses Thema“ schon abdecken. Es ist aber kein Thema, sondern ein grundsätzlicher Wandel.
Andererseits wünsche ich mir, dass sich die Theater klar machen, was gerade auf dem Spiel steht. Es wird sich noch zeigen, ob wir wirklich in jenen goldenen Zwanzigern leben, die vor den Dreißiger kommen. Definitiv verhärten sich gerade die Fronten in der Verhandlung der Zukunft und es ist die Aufgabe des Theaters mehr als empathische, denn als moralische Anstalt, die Begegnung und den Austausch unterschiedlicher Körper, Erfahrungen und Perspektive zuzulassen und zu moderieren, statt immer wieder die gleiche hegemoniale single story[9] zu erzählen.
Necati Öziri
geboren 1988, am Tag, da die Atlantis (OV-104) der NASA zur 27. Space-Shuttle-Mission startete, in Datteln – nur erreichbar von Recklinghausen HBF mit der Buslinie 232, Achtung: Fährt sonntags nur stündlich! – hat Philosophie, Germanistik und Neue Deutsche Literatur in Bochum, Istanbul, Olsztyn und Berlin studiert. Er war Stipendiat der Heinrich-Böll-Stiftung, unterrichtete an der Ruhr-Universität Bochum formale Logik, ist erbitterter Feind von Kälte, Styropor, Bärlauch und Biographien. Öziri gehörte von der Spielzeit 2013/14 zur Dramaturgie des Maxim Gorki Theaters und war von 2014/15 bis Ende 2017 künstlerischer Leiter des Studio Я. Sein Stück »GET DEUTSCH OR DIE TRYIN’« wurde am Gorki in der Regie von Sebastian Nübling uraufgeführt und zum Heidelberger Stückemarkt 2018 eingeladen. Seitdem laufen unterschiedliche Stücke in Berlin, Mannheim oder Zürich. Derzeit ist Öziri Dramaturg des Theatertreffens der Berliner Festspiele, wo er das Internationale Forum leitet. In der Spielzeit 20/21 ist er zudem Hausautor des Nationaltheaters Mannheim. Bei Wut und anderer Erregung dunkelrote Färbung der Ohren.
Interview: Katrin Brehm, Franka Büddicker & Sebastian Klinser
Fußnoten
[1] (Artist) of Color:
Of Color ist eine internationale Selbstbezeichnung von/für Menschen mit Rassismuserfahrungen. Der Begriff markiert eine politisch- gesellschaftliche Position und versteht sich als solidarisch: Er positioniert sich gegen Spaltungsversuche durch Rassismus und Kulturalisierung sowie gegen diskriminierende Fremdbezeichnungen durch die Weiße Mehrheitsgesellschaft.
[2] Intersektionalität:
(intersection, engl. Überschneidung) Der Begriff ist auf die Schwarze feministische Bewegung in den USA zurückzuführen. Maßgeblich geprägt wurde er von Kimberlé Crenshew, die ihn erstmals im wissenschaftlichen Kontext verwendete. Intersektionalität beschreibt die Verschränkung verschiedener Ungleichheiten. In den Fokus rücken Menschen und gesellschaftliche Gruppen, die nicht nur aufgrund eines einzigen Merkmals diskriminiert werden, sondern verschiedenen Formen von Diskriminierung, wie Rassismus, Sexismus, Homophobie, Ableismus, Klassismus, Trans*Diskriminierung etc. ausgesetzt sind. Intersektionale Theorien diskutieren die notwendige Überwindung eines ein-dimensionalen Blickwinkels auf Unterdrückungsmechanismen und suchen nach Strategien, mit denen race/gender/class nicht zu mehrfacher Unterdrückung auf-addiert, sondern in ihrer komplexen Verknüpfung erfasst werden.
[3] Affirmative Kunst:
Affirmation bedeutet Zustimmung zu bzw. positive Bewertung einer Behauptung/ Idee/ Denkart. Affirmative Kunst ist unkritisch und passt sich an bestimmte ästhetische/ kompositionelle sowie ideologische Richtlinien an, um ein politisches Regime zu unterstützen bzw. zu verherrlichen. Beispielhaft hierfür ist die Auftragskunst während der NS-Zeit: Künstler*innen unterwarfen sich einer vorgeschriebenen Kunstvorstellung. Ihre Kunst wurde gezielt als Propagandamittel eingesetzt und stellte somit ein essenzielles Instrument des politischen Herrschaft- und Machtapparates dar.
[4] Auktoriale Erzählperspektive:
Auktorial definiert in literarischen Texten eine vermeintlich allwissende Erzählhaltung. Ein*e auktoriale*r Erzähler*in ist nicht Teil der Handlung, sondern betrachtet das Geschehen von außen – kann inhaltliche Zusammenhänge herstellen, Details über Figuren liefern und Rückblenden sowie Zukünftiges darstellen. Der auktorialen Erzählperspektive wird somit ein (falscher) allgemeingültiger Wahrheitsanspruch zugeschrieben, was Leser*innen erschwert, Aussparrungen und Verzerrungen des Dargestellten zu entlarven.
[5] Schwarz:
In diesem Kontext bezieht sich Schwarz nicht allein auf eine Hautfarbe, sondern vielmehr auf die entsprechende gesellschaftlich-konstruierte Kategorie. Um diesen begrifflichen Unterschied zu kennzeichnen, wird die Großschreibung des Begriffs genützt.
[6] Minstrelsy:
Minstrel-Shows entstanden als populäres Unterhaltungsformat in den 1830ern in New York: Es handelte sich um abendfüllende Show-Programme, in welchen sich Weiße Performer*innen musikalische, tänzerische und sprachliche Elemente der Schwarzen Kultur aneigneten und diese stark stereotypisiert vor einem Weißen Publikum zu dessen Belustigung vorführten. Durch die stark verzerrte Darstellung der Lebensrealitäten von versklavten Menschen trugen sie maßgeblich zur Festigung und Verbreitung des Stereotyps der Schwarzen Person bei und ebneten so den Weg für die Einführung und Legitimierung der Segregation in den USA.
(Eine ausführlichere Beschreibung findet ihr in unserem Beitrag „Black-Facing und Weiße Privilegien“)
[7] Palimpsest:
Ist ursprünglich ein Begriff aus der Handschriftenkunde und bezeichnet ein wiederbeschriebenes oder überschriebenes Papyrus. Heute wird der Begriff in der Intertextualitätstheorie (Gérard Genette) meist metaphorisch gebraucht und bezeichnet einen (Sub)Text, der „unter“ dem eigentlichen Text eine zweite Bedeutungsebene eröffnen kann. Die Denkfigur Palimpsest hat in unterschiedlicher Weise in postkoloniale Diskurse Einzug erhalten. In der postkolonialen Literaturwissenschaft wird die Schriftmetapher des Palimpsests verwendet, um Prozesse der Überschreibung und Überlagerung von Texten, die auf kolonialen Sichtweisen basieren, zu beschreiben. Diese Praktik eröffnet das Potenzial einer kritischen Auseinandersetzung mit (vergangenen) kolonialen Strukturen und Denkweisen sowie mit Vorstellungen von Gedächtnis und Erinnern.
[8] Dekolonial:
Bezeichnet eine Denkweise/ Perspektive, die von einer kritischen Auseinandersetzung mit (neo)koloniale Strukturen geprägt ist. Ein dekolonialer Ansatz macht es sich zur Aufgabe, herrschende Diskurse und Sehgewohnheiten, die auf Machtgefällen basieren, zu durchbrechen und die Gewalt konstruierter (eurozentristischer) Wahrheitsansprüche aufzuzeigen. Dekoloniale Perspektiven verweisen auf die Verwobenheit eigener Denkweisen und Lebensstandards mit dem historischen Kolonialismus und seinen Kontinuitäten. Ziel ist das Aufarbeiten und Bewusst-Machen vielfältiger Formen kolonial bedingter Ausschlüsse, Grenzen und Ungerechtigkeiten wie z.B. Ressourcenzugang oder Ungleichverteilung von Privilegien.
[9] Hegemoniale single story:
Diese Begrifflichkeit ist auf Chimamanda Adichie Vortrag „The danger of a single story“ zurückzuführen. Adichie verweist auf die Dominanz von Weißen Sichtweisen, v.a. in der Literatur. Vorherrschende Narrative können durch monoperspektivisches/eindimensionales Erzählen Menschen, Kulturen oder Orte auf eine einzige Geschichte reduzieren und so die Wahrnehmung der Wirklichkeit manipulieren sowie eine vermeintliche Authentizität suggerieren. Damit wird ein verzerrtes, nicht-vielfältiges, ein-dimensionales Wissen über Nicht-Weiße Lebensrealitäten produziert, das Stereotype und Klischees aufrechterhält.
Foto: © Anne-Marie Sanders