Alireza Daryanavard ist Schauspieler und Regisseur. 2014 kam er aus dem Iran nach Österreich. Nach Engagements in verschiedenen Theaterproduktionen (unter anderem “Traiskirchen. Ein Musical” am Volkstheater Wien und “Arash” am Theater Drachengasse) zeigt er ab 25.10. im WERK X-Petersplatz sein erstes eigenes Stück in Österreich. Clara Gallistl hat Alireza Daryanavard in seinem Studio im achten Bezirk zum Gespräch getroffen.
Neue Wiener: “Ein Staatenloser” ist deine erste eigene Produktion in Österreich. Was ist das für ein Gefühl?
Alireza Daryanavard: Es geht mir supergut damit. Am Anfang war es eine schwierige Verantwortung, den bürokratischen Prozess ganz alleine durchzumachen. Ich sehe es aber als gutes Zeichen, dass jetzt Künstler_innen dabei unterstützt werden, ihre eigene Kunst zu machen.
N.W.: Wo hast du überall eingereicht?
A.D.: Vor einiger Zeit habe ich beim BKA für den Topf “Zusammen:Wachsen” eingereicht. Ich habe es nicht bekommen, aber in der Liste von geförderten Projekten gesehen, dass es nur österreichische Künstler_innen waren. Da hab ich gesagt: Wer soll da mit wem zusammenwachsen? Ein Jahr später habe ich es wieder versucht und dabei das Startstipendium für Darstellende Kunst und die Förderung vom Topf „Zusammen:Wachsen“ bekommen – zusätzlich wurde das Projekt auch von WIENWOCHE gefördert.
N.W.: Wie hast du dein Team gefunden?
A.D.: Ich kannte schon viele Leute, aber ich wollte nicht mit Menschen zusammenarbeiten, die mir nur “helfen” wollten. Ich wollte Verantwortliche von außerhalb meines Freundeskreises holen. Deshalb hab ich zum Beispiel die Dramaturgie über die IG Freie Theater ausgeschrieben. Ich wollte das Stück hauptsächlich selbst entwickeln und auch selbst inszenieren, brauchte aber jemanden, der von Außen immer wieder draufsieht. Der Auswahlprozess war ganz schön. Es war einmal umgekehrt: Nicht ich spreche für fixe Rollen vor, sondern Dramaturg_innen bewerben sich bei mir. Es war mir wichtig, dass es jemand ist, der_die sich mit Politik beschäftigt, weil es einfach ein politisches Stück ist. Klaus (Karlbauer, Anm. d. Red.) stand als Musiker bald fest. Ich kannte seine Musik und wollte genau diese Ästhetik. Eleni (Palles, Anm. d. Red.) hat viel mehr gemacht als Bühne. Sie hat das Licht toll eingestellt. Damit war ich sehr glücklich.
N.W.: Gibt es schon ein nächstes Projekt?
A.D.: Ja. Als Arbeitstitel steht derzeit “4.000 rote Blumen”. Ich befinde mich gerade in der Recherche und schreibe am Text. Es geht um die islamische Revolution, während der in einem gewissen Zeitraum etwa 4.000 Menschen umgebracht wurden. Im Iran spricht noch immer niemand darüber und einige der Verantwortlichen sitzen immer noch an mächtigen Positionen. Die 4.000 roten Blumen stehen für die 4.000 Frauen, Kinder, Männer und Personen, die in dieser Zeit hingerichtet wurden.
N.W.: Wird das wieder ein Solo-Abend oder arbeitest du mit anderen Schauspieler_innen?
A.D.: Wenn ich arbeite, hab ich eine bestimmte Ästhetik, die ich schwer anderen Schauspieler_innen vermitteln kann. Zu Beginn wollte ich eine Performance alleine machen und mich in Richtung Impulstanz orientieren. Aber durch meine Recherche und die Interviews, die ich mit vielen Betroffenen, die geflohen sind und heute in Deutschland leben, gemacht habe, hat sich ein Dramaturgiebogen entwickelt, der ein Theaterstück aus dem Text macht. Es wird drei Figuren auf der Bühne geben, die als Erzähler fungieren, in Rollen treten und wieder aus ihnen herauskommen. Ich selbst werde, denke ich, nicht auf der Bühne stehen.
N.W.: Wie würdest du deine Schauspiel-Ästhetik beschreiben? Gibt es Unterschiede zwischen Reinhardt-Seminar-Schauspiel und deiner Ausbildung im Iran?
A.D.: Schauspiel ist immer individuell. Aber der größte Unterschied ist die Sprache. Daran hängt viel Kultur und Identität im Spiel. Sicher sind die Schauspieler_innen hier besser ausgebildet als im Iran. Sie haben hier musikalischen und mehr Körperunterricht. Das ist im Iran alles sehr eingeschränkt. Wegen dem isalmischen Einfluss kannst du in der Ausbildung nicht wirklich an deiner Stimme oder deinem Körper arbeiten. Das ist sehr schade. Man muss sich sowas dann privat selbst beibringen. Für mich ist Körper, Ruhe, Präsenz auf der Bühne viel wichtiger als Text. Mein eigener Geschmack geht eigentlich weg vom Sprechtheater. Ich will weniger sprechen und mehr zeigen. Das war auch unser Stil im “Untergrund” im Iran.
N.W.: “Untergrund” hieß euer privater, geheimer Theaterraum in Boushehr. Hattet ihr dort eine andere Ästhetik als die nationalen Bühnen im Iran?
A.D.: Ja, auf jeden Fall. Alle Inszenierungen waren sehr mutig. Den Macbeth haben wir begonnen mit dem Monolog “Es erschreckt mich kein Feind”. Wir haben den Monolog leicht verändert und Sprachbilder aus der iranischen Mythologie reingegeben. “Wer hat den Stock so fest in unseren Kopf gehauen, dass wir unseren Kopf nicht mehr hochziehen können”, ging es bei uns im Macbeth weiter. Das ist eine typisch persische Formulierung.
“Durch welche Hoffnung sind wir in diese Hölle gekommen.” – “Welche Schmerzen hatten wir, dass die Lösung dieser Schmerzen nur Tod war.”
Solche Bilder aus traditionellen, iranischen Geschichten haben wir genommen um das auszudrücken, was die Leute beschäftigt. Sowas hätte man im Stadttheater nicht sagen können. Auch, dass du deinen Körper frei lässt. Wir waren sehr bekannt für unser physical theatre. Das ging im Stadttheater auch nicht.
N.W.: Sitzen in den Proben im Stadttheater Menschen aus der Regierung, die kontrollieren, oder üben die Theater Selbstzensur aus?
A.D.: Irgendwann ist es zur Selbstzensur geworden. Die Künstler_innen hatten keinen Bock mehr, ständig kontrolliert zu werden. Der Prozess besteht aus drei Etappen: Wenn du die Idee hast, musst du sie der Kulturabteilung vorlegen. Die sagen dir, was du ändern musst. Sie schreiben dir den Shakespeare um. Dann fängst du an zu proben. Während der Probe schauen sie das Stück an und sagen dir, was passt und was nicht. Die Generalprobe sehen sie auch an und manchmal auch eine Vorstellung. Als ich am Konservatorium in Boushehr Trainer war, habe ich ein Stück inszeniert, aber mein Lehrer meinte, ich muss aufpassen, dass die Studierenden durch die Aufführung keine Probleme bekommen.
Obwohl es kalt geworden ist im Innenhof der privaten Probebühne, unterhalten wir uns weiter. Alireza erzählt von einem Stück, das seine Student_innen kürzlich selbstständig in Boushehr aufgeführt haben. Es heißt “Wo ist er?”. „Die Studierenden haben Texte, die in meinem Unterricht immer diskutiert wurden, auf die Bühne gebracht – mit meinen Kommentaren von damals“, meint der Schauspieler und Regisseur berührt.
Traurig mache ihn auch, dass seine ehemaligen Kolleg_innen, die im Iran geblieben sind, sich völlig vom Theatermachen abgewandt haben. Sie führen jetzt andere Berufe aus, die sicherer sind. Später an dem Tag wird Alireza Daryanavard noch ein für geflüchtete Schauspieler_innen typisches Casting haben. Er spricht vor für die Rolle eines “Syrers, Iraners, Irakers oder Afrikaners, der jung ist und ein Instrument spielen kann”.
Wenigstens ist es die Hauptrolle des Filmes, aber solche Rollen kennen Künstler_innen wie Alireza zur Genüge.
“Ein Staatenloser” von und mit Alireza Daryanavard ist am 25. und 27. Oktober im WERK X-Petersplatz, am 7. Dezember in der Brunnenpassage und am 12. sowie 13. März im Dschungel Wien zu sehen.
*** Es empfiehlt sich, früh Karten zu organisieren.***