Volkstheater /// 18. Februar 2022 /// Uraufführung Musketiere
Zwischen Monarchie und Republik kämpften im Jahr 1844 in Frankreich die allseits bekannten und vielfach rezipierten Musketiere für Zusammenhalt in der Gemeinschaft. Mit Motiven einer Revue und dichterischem Wortgesang findet die Legende nun Eintritt in das Volkstheater. Im Fokus der Gegenwart wird die Frage nach Gemeinschaftssinn neu gestellt und vor dem politischen Subtext der Pandemie werden die Grundwerte einer Gesellschaft thematisiert.
Reich an Wortwitz rezitiert das Musketier-Trio in klassischen Spitzenblusen Anekdoten ihres Lebens und setzen damit den Ton der Inszenierung, mit einer Aufforderung nach Freiheit und Menschlichkeit. Die alten demokratischen Grundwerte nach Solidarität, Loyalität und Respekt haben sich nach Alexandre Dumas nicht geändert:
„Einer für alle, alle für einen“
Die Figuren der Inszenierung von Calle Fuhr aber legen ihr individuelles Leiden gesellschaftlicher Aktualität zuerst bei sich selbst an. Die Vater-Sohn-Beziehung von Athos (Luka Vlatkovic) hat Minderwertigkeitskomplexe zurückgelassen, Porthos (Martín Peñaloza Cecconi) hadert mit inneren Gemütszuständen und Aramis (Runa Schymanski) spricht die Geschlechterthematik an, die sich ein wenig im „babylonischen Sprachengewirr“ verliert, bei dem ihrer Meinung nach der Gemeinschaftssinn zerstört und nie an die gegenwärtige Kommunikation angepasst wurde.
„Wie viele Sprachen muss ich sprechen, dass du mir das Wort nicht verdrehst und du mich endlich verstehst?“
Sie fordert eine radikale Änderung der Sprache, bei der jede*r König*in den Thron besteigen kann, unabhängig einer Wortbildung. Sie selbst hat aber wenig Interesse an der Krone, sondern eher an der Sprachforschung. Die Annahme von Ungleichheit und die Wertschätzung von Verschiedenheit unter Menschen sind ihr ein Anliegen. Es wird reichlich gelacht im Publikum, aber die Probleme der Figuren sind im Kontext längst hinfällig.
Der Wechsel zwischen musikalischen Reimen und Stücktext weicht von den festgezurrten Dichtstrukturen ab und geht oft daneben, aber die Menschlichkeit und der Optimismus der Gruppe lassen sie davon nicht ausbremsen. Freundschaft und füreinander Einzustehen führen zu einem beständigem Lebenssinn, Alleinsein lässt den Menschen leer zurück, führt Arthos aus. Sie sind ein Team. D´Artagnon, das vierte Musketier, im Bunde unterbricht die Harmonie. Sie kehrt aus dem Dienst der Kirche zurück und sucht Schutz bei den wohl verratenen Freunden, den sie nicht mehr bekommt. Es gibt keine Gemeinsamkeiten mehr, kein „Muskebier“ für sie, beim Reimen macht sie nur nach Aufforderung mit. Athos bleibt bei ihr, der Rest geht. Ob die freundschaftliche Krise noch vorübergehen kann und die Musketiere eine neue Chance bekommen, bleibt aus.
Die Empathie für die Figuren in frischer, junger Besetzung liegt zuletzt bei allen Parteien gleichermaßen. Für den allgemeinen Zwiespalt zwischen Individualismus und gesellschaftlichem Fortschritt und auf Frage nach Gleichheit in einer ungleichen Gesellschaft gibt es in dieser Inszenierung keine Antwort, aber wiederholt klingt das Zitat „komplexes Koordinatensystem mit Linientreue und Parabeln“ auf dem Nachhauseweg in den Ohren.
Mit Rebekka Biener, Martín Peñaloza Cecconi, Runa Schymanski, Luka Vlatkovic I Regie: Calle Fuhr I Bühne: Patrick Loibl I Kostüm: Friederike Wörner I Musik: Finck von Finckenstein I Dramaturgie: Matthias Seier
Uraufführung MUSKETIERE frei nach Alexandre Dumas
Mehr Informationen hier: https://www.volkstheater.at/produktion/933353/musketiere
Foto: © Marcel Urlaub