Theater in der Josefstadt /// 18. Oktober 2018 /// Der Besuch der alten Dame
Das Theater in der Josefstadt schafft eine kurzweilige, spannende Inszenierung des Klassikers “Der Besuch der alten Dame” von Friedrich Dürrenmatt, deren Modernität sich allerdings auf die technischen Hilfsmittel beschränkt.
Dürrenmatts Klassiker bietet Reflexionen über zeitlose Themen wie Schuld und Gerechtigkeit. Die Macht des Geldes, mit der Claire Zachanassian in ihrem Heimatdorf ihre Gerechtigkeit in Form von Rache üben kann, ist ebenso eine Kritik an der kapitalistischen Welt. Das Übel des Konsumismus, heute noch eher als zu Dürrenmatts Zeiten, wird in der Josefstadt eher mit bedeutungsstarken Symbolen umgesetzt – absichtlich oder unabsichtlich verblassen die verzweifelten Aufrufe des getriebenen Ills an die Dorfgemeinschaft, sich die Moral nicht durch das Geld korrumpieren zu lassen. Auf taube Ohren stoßen sie auch im Text selbst, in dem die Moral nur ein Vorwand für die Versuchung des Wohlstandes ist. Die vielschichtige Darstellung der Dorfgemeinschaft, allen voran des Bürgermeisters ist dabei phänomenal.
Verstärkt wird dies durch das Spiel mit modernen medialen und technischen Mitteln, vor allem durch den Einsatz eines TV-Teams inklusive Liveübertragungen, welche das Publikum sowohl “live” auf der Bühne als auch auf Bildschirmen aus zwei Perspektiven sehen kann.
So grandios diese Modernisierung des Stückes mit seiner Parodisierung der Medienwelt umgesetzt ist, schießt die technische Innovation an anderen Stellen über das Ziel hinaus, etwa wenn sie bei der Endszene vor lauter Technik die eigentliche Dramatik vernachlässigt.
Modern ist das Stück allerdings nur auf dramaturgischer Ebene – einzelne Elemente, Inhalte oder Personen von klassischen Rollenbildern und Verhältnissen zu lösen, wurde leider nicht gewagt: Denn die Strahlkraft des Stückes konstituiert sich hauptsächlich aus der, damals bis heute ungewöhnlichen, Position einer mächtigen Frau, die ihr altes Dorf in den Ruin treiben kann, um ihm ihr Recht abzuverlangen. Nicht nur wird diese Frau inhaltlich mit männlichen Eigenschaften versehen, die Inszenierung verleiht ihr, angelegt an ihre vielen Operationen, einen Roboteranstrich, welcher auch darstellerisch überzeugend subtil umgesetzt wird, aber eine Entweiblichung weiter vorantreibt. Die Szene, in der sie in knapper Kleidung tanzt, wirkt vor diesem Hintergrund aufgesetzt.
Ebenso wurde die Chance verspielt, neben aktuellen Anspielungen (die im Publikum mit spontanem Klatschen goutiert wurden), auch auf die “meetoo-Debatte” zu verweisen, die thematisch ausgezeichnet gepasst hätte.
Fazit: Handwerklich, dramaturgisch grandiose Inszenierung, die für Lacher und Unterhaltung sorgt, in der jedoch die moralischen Themen und der Mut zur gesellschaftlichen Innovation untergeht.
DER BESUCH DER ALTEN DAME
Regie: Stephan Müller
Bühnenbild und Video: Sophie Lux
Kostüme: Birgit Hutter
Musik: Fabian Kalker
Dramaturgie: Barbara Nowotny
Licht: Pepe Starman
Mit: Andrea Jonasson, Lukas Spisser, Markus Kofler, Michael König, Elfriede Schüsseleder, Gioia Osthoff, Tobias Reinthaller, Siegfried Walther, Johannes Seilern, André Pohl, Alexander Strobele, Martina Stilp, Alexandra Krismer, Michael Würmer, Arwen Hollweg
Bildrechte: Herwig Prammer/ Theater in der Josefstadt
Mehr Informationen:
https://www.josefstadt.org/programm/stuecke/premieren-201819/action/show/stueck/der-besuch-der-alten-dame.html