TEIL 1 DER REIHE „THOMAS KÖCK UND WIEN. DER ANFANG“ [INTERVIEW]
WIEN, 27. FEBRUAR 2016
Felix Hafner inszeniert die österreichische Erstauffühung des bereits preisgekrönten Textes “Isabelle H. (geopfert wird immer)” von Thomas Köck. Im Rahmen des Festivals “Neues Wiener Volkstheater” (10.-13. März 2016, Festival entlang der U-Bahnlinie U4) findet die Premiere am 12. März im Volx/Margareten statt. Ich habe Felix Hafner am Beginn der zweiten Probewoche im Topkino zu einem Gespräch getroffen.
Clara Gallistl: Lieber Felix! Thomas Köck ist erst 29, hat das Studium Szenisches Schreiben noch nicht abgeschlossen und wurde bereits mit einigen wichtigen Autor_innen-Preisen ausgezeichnet. Ich freue mich sehr auf den Text und auf die Premiere! Wie laufen die Proben?
Felix Hafner: Ja, ich freu mich auch! Die erste Woche haben wir am Tisch gelesen und uns die Zusatztexte angesehen, die wir in die Materialmappe gepackt haben. Schön war, dass Thomas Köck Zeit gehabt hat, uns bei der Probe zu besuchen. Die Schauspieler_innen hatten so die Möglichkeit, dem Autor direkt Fragen zum Text zu stellen. Er war spannend zu sehen, wie er den Kosmos hinter dem Text erzählt.
Als Dramaturgin interessiert mich natürlich besonders dieser Materialteil. Welche Texte habt ihr da drinnen? Triffst du die Auswahl? Und nach welchen Kriterien?
Also wir lesen zum Beispiel “Die Opferfalle” von Danielle Giglioli (Rezension von zeit online hier) und einen Teil aus dem neuen Buch von Slavoj Zizek („Der neue Klassenkampf. Die wahren Gründe für Flucht und Terror“, Anm. Red.; Link zur Buchvorstellung von ttt/ARD). Ich arbeite so, dass ich zu Beginn ein Konzept schreibe; was mich am Spieltext interessiert, welche Themen berührt werden, welche Fragen ich mir am Text stellen möchte. Dieses Konzept bespreche ich mit allen Departments (Bühne, Kostüm, Dramaturgie,…, Anm. Red.) und wir erarbeiten gemeinsam einen Materialapparat.
Benützt du dazu nur Texte?
Nein, das sind auch Filme oder bildende Kunst. Es kann eigentlich alles sein. Es geht darum, einen Pool an Assoziationen zu schaffen. Der Text, den wir zeigen, stellt Sicherheiten infrage. Er verwendet mehrdimensionale Identitätskonstruktionen und hinterfragt unsere Vorstellungen von Wahrheit respektive Wirklichkeit.
Worum geht es in “Isabelle H.”?
Eine Asylwerberin in disguise trifft auf einen ehemaligen NATO-Soldaten, der Afghanistan mit posttraumatischem Stress-Syndrom verlassen hat – zumindest nehmen wir das an. Besonders an dem Text von Thomas Köck ist der schnelle Wechsel zwischen Themen und Zeitebenen. Der Text ist sehr dicht und spielerisch. Er stellt Themen frei, über die das Publikum nachdenken kann.
Von welcher Oppositionen oder Hauptmetaphern lebt der Text?
Die Grundopposition ist Sand/Wüste gegen das Grüne. Das sind zugleich die Hauptmetaphern. Gezeigt wird das Verwischen von Grenzen. Gleichzeitig aber auch der Versuch, sich abzuschotten, die Grenzen dicht zu machen, um das Fremde draußen zu halten. Wesentlich ist im Text auch die Dialektik von Opfer und Täter_in. Auch diese Grenze verschwindet.
Hast du bei der Besetzung über die Hautfarbe der ‚Asylwerberin‘ nachgedacht?
Ja, das war natürlich ein Thema. Aber wir haben dann entschieden, dass es sich nicht um eine realistische Fluchterzählung handelt. Das könnte man so auch gar nicht machen. Die Identität von Isabelle H. ist von Anfang an Behauptung und offen gelegte Konstruktion. Die Asylwerberin gibt sich ja als “Isabelle H.” aus und spielt damit die französische Schauspielerin Isabelle Huppert an.
Huppert ist bekannt für ihre weiblichen ‚Opferrollen‘.
Genau! Dazu kommt das Problem von Flüchtenden. Huppert ist eben bekannt für ihre Verkörperung von Leidenden im Film. In Köcks Text verweigert sich die weibliche Protagonistin ihrer Opferrolle. Der Text stellt die Fragen: Wer wird Opfer? Wer wird Täter? Und wodurch?
Zum Schluss noch: Wie ist es zu dieser Zusammenarbeit gekommen? Thomas Köck arbeitet parallel am Schauspielhaus. Ist das Zufall?
Ja, er ist momentan viel beschäftigt. Auch die Drachengasse bereitet gerade ein Stück von ihm vor (Premiere von „jenseits von fukuyama“ am 7.3., Anm. Red.). Thomas Köck ist einer der spannendsten jungen Autoren derzeit. Ich komme dazu, weil das Festival “Neues Wiener Volkstheater” bestehendes Volkstheater-Ensemble mit Studierenden des Reinhardt-Seminars verbindet. Gesamt werden sechs Stücke als szenische Lesungen präsentiert.
Deine letzte Inszenierung war “Astoria” von Jura Soyfer am Reinhardt-Seminar. Es war deine Diplomarbeit. Wie ist der Unterschied zur Arbeit an einem ‘echten Haus’?
Es ist sehr angenehm am Volkstheater zu arbeiten und natürlich ein ganz anderes Umfeld als am Seminar. Es macht einen Unterschied, ob man mit Studierenden arbeitet, die neben den Proben noch Unterricht haben und sich noch mehr ausprobieren, oder mit ‘fertigen’ Schauspieler_innen, deren Haupttätigkeit im Proben und Spielen von Vorstellungen besteht. Es ist alles viel organisierter.
Denkst du beim Inszenieren über dein Publikum nach?
Natürlich gehe ich immer wieder den Schritt zurück und überprüfe, ob das was ich gemacht habe Anschluss finden kann. Ich frage mich: Was macht das, was wir auf der Bühne zeigen, mit dem Publikum? Ist das verständlich? Aber grundsätzlich mache ich, was mir selber gefällt. Ich bin gegen Emotionssteuerung. Das Publikum soll sich frei fühlen, in seinen Empfindungen und Gedanken zum Stück.
Was steht im Probenprozess jetzt als Nächstes an?
Wir sind jetzt eine Woche gesessen und haben gelesen. Wir haben mit den Materialtexten gearbeitet und mit Blick auf das Stück diskutiert. Ich habe mein Konzept an die Schauspieler_innen weitergegeben. Jetzt geht es in den Raum. Wir müssen jetzt die Raumsituation und ich mein Inszenierungskonzept prüfen. Wir müssen uns jetzt quasi „in die Szenen schmeißen“. 🙂
Das hört sich doch gut an. Ich freue mich schon sehr auf die Premiere. Als letztes Wort noch: Was ist dir ganz grundsätzlich an deiner Regiearbeit am Wichtigsten?
Hm. Ich denke, am Wichtigsten ist mir Dinge offen nebeneinander zu stellen. So, dass sich Widersprüche zeigen und Fragen stellen. Aber so, dass sich der_die Zuschauer_in selbst zusammenbauen kann, was er_sie da sieht.
Vielen Dank!
FELIX HAFNER: GEBOREN 1992 IN VOITSBERG, STEIERMARK. SEIT 2012 STUDIUM DER SCHAUSPIELREGIE AM MAX REINHARDT SEMINAR IN WIEN. ER HOSPITIERTE AM RESIDENZTHEATER MÜNCHEN UND INSZENIERTE TEXTE VON HEINER MÜLLER, JOHANN NESTROY UND ANTHONY BURGESS (CLOCKWORK ORANGE, THEATER IN DER JOSEFSTADT, PROBEBÜHNE). NEBEN DEM REGIESTUDIUM IST ER AUCH ALS SCHAUSPIELER TÄTIG UND WURDE AM 26. THEATERTREFFEN DEUTSCHSPRACHIGER SCHAUSPIELSTUDIERENDER FÜR DIE ROLLE DER MICHELINE IN DAS SCHLANGENNEST MIT EINEM SOLOPREIS AUSGEZEICHNET. DIPLOMINSZENIERUNG IM DEZEMBER 2015 MIT ASTORIA VON JURA SOYFER.
THOMAS KÖCK: GEBOREN 1986 IN STEYR, OBERÖSTERREICH. ER STUDIERTE IN WIEN UND BERLIN PHILOSOPHIE, LITERATURWISSENSCHAFTEN SOWIE SEIT 2012 SZENISCHES SCHREIBENS AN DER UNIVERSITÄT DER KÜNSTE IN BERLIN MIT AUFENTHALT AM DEUTSCHEN LITERATURINSTITUT LEIPZIG. MIT JENSEITS VON FUKUYAMA GEWANN KÖCK 2013 DEN OSNABRÜCKER DRAMATIKERPREIS. 2015 ERHIELT ER FÜR SEIN STÜCK ISABELLE HUPPERT (GEOPFERT WIRD IMMER) DEN STÜCKEPREIS DES ELSE-LASKER-SCHÜLER-DRAMATIKERPREISES UND DAS THOMAS-BERNHARD-STIPENDIUM AM LANDESTHEATER LINZ. SEIN STÜCK PARADIES FLUTEN (VERIRRTE SINFONIE) WAR ZUM HEIDELBERGER STÜCKEMARKT EINGELADEN UND ERHIELT DAFÜR DEN KLEIST-FÖRDERPREIS. 2016 ERHIELT ER AUSSERDEM DEN „AUTORENPREIS“ DER ÖSTERREICHISCHEN THEATERALLIANZ.
“Isabelle H.” feiert am Sa, 12. März im Volx/Margareten Premiere.
weitere Termine:
VORAUFFÜHRUNG Fr, 11. März 2016 20:00
Di, 15. März 2016 20:00
Do, 17. März 2016 20:00
Di 22. März 2016 20:00
weitere Termine in Planung
mit Okan Cömert, Max Gindorff, Katharina Klar und Christoph Rothenbuchner.
Bühne und Kostüm: Camilla Hägebarth
Musikalische Einrichtung: Bernhard Eder
Dramaturgie: Andrea Zaiser
Weitere Stücke von Thomas Köck in Wien: