Interview // Theater Drachengasse // 18. Juni 2018 /// ARASH // Heimkehrer — Neue Wienerin Clara Gallistl traf Autor Amir Gudarzi und Regisseurin Natalie Assmann zum Interview über das Straßentheater „ARASH // Heimkehrer“ in der funkelnagel-alten Odeon Bar, die sich ab 21. Juni für das Stück in ein illegales Flucht-Café, einen Abholort für gefälschte Pässe, verwandelt.
“ARASH // Heimkehrer” fundiert auf der persönlichen Erfahrung des Autors Amir Gudazi, der 2005 von Teheran nach Wien zog und vor seiner Haustüre goldene Steine vorfand. Die “Steine der Erinnerung” stellten plötzlich eine Verbindung zur jüdischen Geschichte Wiens her. Clara Gallistl traf den Autor Amir Gudarzi und Regisseurin Natalie Assmann im Café des Odeontheaters zum Vorab-Interview.
Neue Wiener: Das Stück ist eigentlich kein Stationentheater, sondern war für die Bühne gedacht. Wie kann man sich den Transformationsprozess vorstellen? Wie wird ein Bühnentext zum Stationentheater?
Amir Gudarzi: Ich weiß es nicht, ich habe es noch nicht gesehen! Das Stück funktioniert wie ein Mosaik, das nebeneinander gelegt wurde. Eigentlich ist der Text als etwas geschlossenes gedacht. Ich bin sehr gespannt, wie das auf der Straße funktioniert.
Der Ursprung war ein ganz persönlicher. Ich bin 2009 in eine WG im siebten Bezirk eingezogen, nachdem ich aus Teheran nach Wien gekommen bin. Vor meinem Haus waren diese goldenen Stolpersteine und ich habe begonnen, mich damit zu beschäftigen. So habe ich von der Shoah und der nationalsozialistischen Geschichte Wiens erfahren. Ich denke, Migrant_innen schreiben die Geschichte der Stadt mit. Die ungarischen Geflüchteten ebenso wie heute Menschen aus Afghanistan, dem Irak, Syrien oder dem Iran. Als Neuankömmling wollte ich die Geschichte der Stadt erfahren und tat dies über das, was auf der Straße sichtbar war. Darum geht es im Text.
„Teheran ist wie ein großer Friedhof. Ich glaube, alle großen Städte im Iran sind so. Die Straßennamen sind die großen Märtyrer, die für die Stadt gefallen sind. Hier in Wien sind es nur so kleinen Steine. Das finde ich spannend.“
NW: Natalie, warum hattest du das Gefühl, dass das Stück auf die Straße gehört?
Natalie Assmann: Einerseits weil der 2. Bezirk eine so große Rolle im Text spielt. Ich dachte, es wäre schön, die Geschichte der Shoah direkt aus dem jüdischen Bezirk Wiens zu erfahren. Von den Steinen der Erinnerung ausgehend, habe ich die Orte ausgewählt, an denen gespielt wird. Arash begegnet Jüdinnen und Juden aus den Jahren 1938 bis 1942 in Form von Rückblenden. Damit begegnet auch das Publikum ganz konkret dieser Zeit. Gleichzeitig lebt Arash im 2. Bezirk und wartet auf seine eigene Abschiebung, das ist die ganz realpolitische Komponente der Arbeit.
Andererseits bin ich ein Fan von der Verhandlung von Themen im öffentlichen Raum anstelle von in dunklen, geschlossenen, elitären Räumen. Das Thema der aktuellen Abschiebungspolitik wird zu wenig öffentlich verhandelt. Die zentrale Szene der Abschiebung findet bei uns auf der Schwedenbrücke statt. Wir wollen damit einen Fokus auf dieses Thema lenken. Das Schöne an Performances im öffentlichen Raum ist, dass Leute, die sich Karten gekauft haben, sich mit Laufpublikum mischen. Dadurch entsteht eine ganz besondere, offene, zugängliche Aufführungssituation.
NW: Hast du Sicherheitsvorkehrungen getroffen?
N.A.: Ich denke, dass die Wienerinnen und Wiener es bis zu einem gewissen Grad gewöhnt sind, Performances im öffentlichen Raum zu erleben. Falls sich jetzt wirklich jemand reinschmeißt, um Arash vor der Abschiebung zu retten, sind die Performer_innen geschult und werden damit umzugehen wissen. Solche ungeplanten Interaktionen halte ich außerdem für besonders interessant. Sie ergeben neue Spielmöglichkeiten.
NW: Kann der Text als Stadtportrait Wiens gesehen werden?
A.G.: Vor allem durch das, was Natalie daraus gemacht hat. Aber auch im Text selbst fungiert nicht nur Arash als Stimme der Stadt. Ich denke, dass man alleine dadurch, dass man hier lebt, zu einer Stimme der Stadt wird. Genauso wie die Hauptfigur, wenn sie zu Wort kommt.
Was mir seit ich hier bin aufgefallen ist: In der Wiener Theaterlandschaft gibt es immer noch wenige Geschichten von Menschen, die nicht in Österreich geboren sind, auf der Bühne. Dabei stammen mehr als die Hälfte der Wiener_innen ursprünglich nicht aus Österreich. Es war mir wichtig, meine Stimme in die Wiener Theaterlandschaft einzubringen. Man hört auf den Wiener Bühnen immer nur Standarddeutsch. Bei uns hört man sehr viele unterschiedliche Akzente und Sprachen.
N.A.: Es ist nicht mehr zeitgemäß, dass Deutsch die unumstrittene vorherrschende Sprache auf der Bühne ist. Unsere 15 Performer_innen kommen aus 8 verschiedenen Ländern. Da wird neben Deutsch auch Farsi, Hebräisch, Arabisch und Polnisch gesprochen.
NW: Aus Sicht des Publikums gesprochen: Was darf man sich erhoffen?
N.A. lacht: Schnaps. Es wird viel Alkohol an den Stationen ausgeschenkt. Und das Publikum kommt an Orte, die nicht so bekannt aber wunderbar sind. Außerdem gibt es tolle Performer_innen, die zum Teil extra aus Israel kommen. Es ist eine coole experience, mit den Performer_innen die Stadt zu erobern. Letztlich ist aber die Hauptfigur Arash eine wunderbare Symbolfigur, die für sehr viele Menschen steht, die derzeit in Wien leben und wir erhoffen uns wieder mehr Empathie in unserem Publikum zu erwecken.