Die Josefstadt zeigt Biedermann und die Brandstifter, das ‘Lehrstück ohne Lehre’ als aktuelle, aber scheue Inszenierung.
Mal wieder Biedermann …
Warum Theaterhäuser Max Frischs Biedermann und die Brandstifter (UA 1958) in den letzten Spielzeiten auf ihre Spielpläne setzen, ist angesichts der im Stück gestellten Fragen eindeutig: Was passiert, wenn ein kleiner Riss durch die Welt geht, dieser nicht ernst (oder sogar nicht für wahr) genommen wird, immer größer wird und letztlich hoffnungslos in die Katastrophe führt? Es geht um Angstgefühle einer gemütlich gewordenen, reichen und veränderungsresistenten Gesellschaft sowie um Manipulationsstrategien (Stichworte: Fakenews und Propaganda). Die Interpretationen reichen von der Horrorparanoia mirgantenfeindlicher Schweizer am Theater Basel, die Frischs Stück auf den Kopf stellte (Volker Lösch, 2014) bis hin zur gestern gezeigten, werktreuen Inszenierung in der Josefstadt (Regie: Stephanie Mohr). Hier gibt es alles, wie von Frisch geschrieben: Den reichen Bürger Biedermann, der zwei verschmitzte Brandstifter in sein Haus aufnimmt, obwohl sie von Anfang an erkennen lassen, dass sie es in Brand stecken werden, kleine Nebenrollen, den Chor und sogar das Nachspiel. Sogesehen passiert in den 2 Stunden und 20 Minuten nichts Überraschendes.
Josefstadt – Wie hältst du es mit dem Gegenwartsbezug?
Biedermann und die Brandstifter an einem Theater in Österreich im Herbst 2024 inszenieren zu lassen, ist sicherlich kein Zufall. Zu Beginn kommt der Feuerwehrchor auf die Bühne und sorgt mit der Deklamation einer Brandschutzverordnung für Bühnen erste Lacher im Publikum – im Hintergrund hört man aber bereits ein bedrohliches Dröhnen (Musikalische Leitung: Wolfgang Schlögl). Damit ist der Grundton des Abends gesetzt. Es soll lustig werden, ohne die Ernsthaftigkeit des Themas untergehen zu lassen. Der Chor macht deutlich, dass die Bühne und der Zuschauerraum im Hinblick auf die Brandschutzverordnung eigentlich als ein Raum zu betrachten sind und man sich auch im Publikum vor (politischen) Bränden nicht allzu sicher fühlen sollte. Später folgende Brechungen der sogenannten vierten Wand und immer wieder heller werdendes Saallicht unterstreichen diese Fluidität. Und: ‘Statt echter Zigarren sind Attrappen zu verwenden’ heißt es vom Chor. Auf der Bühne wird also gespielt, damit wir im Publikum sehen und verstehen, was in der Welt um uns vor sich geht. Spätestens als am Ende des Abends das Wort “Brandmauer” fällt (ein kleiner textueller Unterschied zu Frisch), ist die politische Stoßrichtung des Abends gesetzt. Glücklicherweise verzichtet das Team der Josefstadt aber auf platte Analogien und Symbole der aktuellen politischen Landschaft und bewahrt damit die überzeitliche Strahlkraft des Stückes. Einzig die Frau Doktorin (Theresa Hübchen) erinnert mit blonden, streng gekämmten Haaren, weißer Bluse, Perlenkette und runder Brille an eine gewisse Alice W. Auch die Gestik dieser Figur, als sie sich von den Brandstiftern noch zu distanzieren versucht, lässt den Deutschen Bundestag durchschimmern – oder?
Frauenfiguren
Nicht nur die Rolle der Dr. phil. wird, anders als in der Vorlage, von einer Frau gespielt. Nach dem Motto: Kind, male mir die Feuerwehr (und das Kind malt meistens dem Stereotyp entsprechend einen Mann), hat die Dramaturgie (Barbara Nowotny) versucht, dieses patriarchale Bild mit einem weiblich gelesenen Feuerwehrchor zu durchbrechen (Chorführerin: Lore Stefanek). Das ist im Theater keine Neuheit, aber auch im Alltag nicht selbstverständlich und damit ein konsequent umgesetztes Bild im Lehrstück, das kein Lehrstück sein will. Sehr gelungen ist der Auftritt des Dienstmädchens Anna (Katharina Klar), die sich erst höchst motiviert und energetisch im Feuerwehrchor zeigt, um dann naserümpfend und widerwillig die Schutzausrüstung gegen das Kostüm des Dienstmädchens tauschen zu müssen. In der Josefstadt bleibt der Haushalt des Herrn Biedermann im Patriarchat der 1950er Jahre gefangen, aber die Abneigung, die Katharina Klar gegen die unterwürfige Rolle des Dienstfräuleins ausstrahlt, ist zumindest erfrischend.
Die Strategien der Täuschung
Die Brandstifter sagen Biedermann deutlich, dass ihre Täuschungsstrategien gegenüber den gutgläubigen Bürgern Witz, Nostalgie und vor allem Ehrlichkeit sind. Robert Joseph Bartl und Dominic Oley wissen zwischen diesen Registern spielerisch kunstvoll zu wechseln und haben das Premierenpublikum schnell auf ihrer Seite. Den Humor des Abends prägt eindeutig Bartl mit seiner herrlich komischen und präzisen Mimik, die Frischs schon in sich humorvollem Text in höchstem Maß gerecht wird. Doch auch Marcus Bluhm als Biedermann punktet mit seiner präsenten, klaren Spielweise und schließt damit ein tolles Trio ab! Die anderen Rollen sind leider etwas blass geblieben. Man kann es aber gerade Alexandra Krismer nicht übel nehmen, da die Rolle der Frau an der Seite Biedermanns in den 50er Jahren unscheinbar und hilflos gezeichnet ist – gleichwohl schafft es Krismer in den entscheidenden Momenten, die Erkenntnisfähigkeit der Babette darzustellen und sie vom singenden, trinkenden Männerklamauk in ihrem Salon (realistisches Bühnenbild und Kostüme: Miriam Busch und Nini von Selzam) kurzzeitig zu entfremden.
Hölle: Nachspiel
Wieso es in dieser subtil aktuellen Inszenierung am Ende noch das von Frisch für die deutsche Uraufführung geschriebene Nachspiel in der Hölle braucht, ist nicht ganz klar. Damit wird der Kontext der gescheiterten Entnazifizierung der 1950er und 1960er Jahre auf den Plan gerufen, der irgendwie vom aktuellen Bezug ablenkt und alles nur in die Länge zieht … Für die Botschaft des Abends in der Josefstadt erscheint dies überflüssig. Immerhin: Dadurch gab es noch einige schöne Kostüme zu sehen. Das Publikum spendierte freundlichen Applaus für eine aktuelle, aber biedermeierlich scheue Inszenierung. Herr Biedermann hätte sicher brav geklatscht.
BIEDERMANN UND DIE BRANDSTIFTER von Max Frisch
Regie: Stephanie Mohr | Bühnenbild: Miriam Busch | Kostüme: Nini von Selzam | Musikalische Leitung: Wolfgang Schlögl | Dramaturgie: Barbara Nowotny | Licht: Manfred Grohs
Mit: Marcus Bluhm (Herr Biedermann), Alexandra Krismer (Babette, seine Frau), Katharina Klar (Anna, das Dienstmädchen), Robert Joseph Bartl (Schmitz, ein Ringer/Beelzebub), Dominic Oley (Eisenring, ein Kellner/Eine Figur), Theresa Hübchen (Eine Dr. phil/Meerkatze), Tobias Reinthaller (Ein Polizist), Kimberly Rydell (Witwe Knechtling), Lore Stefanek (Chorführerin), und als Chor, bestehend aus Feuerwehrleuten: Minou M. Baghbani, Katharina Klar, Juliette Larat, Kimberly Rydell, Laetitia Toursarkissian
©Moritz Schell
Mehr Informationen: https://www.josefstadt.org/programm/stuecke/stueck/biedermann-und-die-brandstifter.html