Burgtheater // 10.11.2024 // König Lear von William Shakespeare auf Grundlage der Übersetzung des Grafen Baudissin von Arnt Knieriem
In den Familien von König Lear und Graf von Gloster geht es hoch her. Der alte König dankt ab und möchte sein Reich unter den drei Töchtern Goneril, Regan und Cordelia aufteilen. Zum Dank sollen sie ihm ihre Liebe bekunden. Goneril und Regan fügen sich heuchlerisch ihrem Vater, die jüngste Tochter Cordelia verweigert aber ein überschwängliches Bekenntnis und wird von ihrem Vater verbannt. Die beiden anderen Schwestern wollen, nachdem sie erfolgreich geerbt haben, wiederum ihren Vater loswerden. Für Lear beginnt ein Kampf gegen sich selbst, seinen Untergang und den aufkommenden Wahnsinn in seinem Kopf. Zugleich wird das Haus Gloster von Intrigen des unehelichen Sohnes Edmund gegen Bruder und Vater in den Abgrund getrieben. Dass die Inszenierung in undurchsichtiger Dunkelheit mit dem tragischen Ende des Stückes beginnt, erstickt jede Hoffnung auf Erlösung. In dieser Welt aus vorgetäuschter Liebe, Machtgelüsten und Rücksichtslosigkeit gibt es gar keine Hoffnung.
Das Nichts
Entsprechend trostlos, leer und endlos schwarz ist die Bühne (Simeon Meier) in der Inszenierung von Rafael Sanchez. Die Figuren, sechs Schauspieler*innen, ein Musiker und eine Menge an Kompars*innen, sind ebenfalls schwarz gekleidet (Kostüme: Ursula Leuenberger) und treten aus diesem schwarzen Grund der Tragödie nur hervor, um wieder in ihm zu verschwinden. Lear wird als über allen stehender König von seinen Rittern auf einem Podest getragen, er schimpft und wütet. Durch diese Erhebung des Herrschers zu Beginn der Inszenierung, wird sein Fall bildlich, als er sich unter dem Druck seiner Töchter auf den Boden der Tatsachen begibt und fortan auf ihrer Ebene spielen muss. Nur manchmal wird der dunkle Grund der Bühne von einigen Stellwänden, welche die Ritter Lears hereintragen, strukturiert: Es entsteht ein Tor, eine Hütte in der ein Feuer brennt oder der berühmte Felsen bei Dover, auf dem Gloster zu stehen glaubt, um sich in die Tiefe zu stürzen.
Was ist hinter dem Nichts?
Gloster ist bei Shakespeare eine Figur, die an die Macht der Sterne und Übersinnliches glaubt. Diesen Aspekt scheint die Inszenierung mit den Videoprojektionen und der Musik aufzugreifen. Als der Graf den ersten trügerischen Brief seines Sohnes liest, wird dieser Brief auf die Stellwände projiziert. Die Animation beginnt sich zu drehen, die Schriftzeichen verwischen und gehen in abstrakte Bilder über. Sind es Planeten, die da im Hintergrund erscheinen und doch auf etwas hinter dieser traurigen Menschenwelt deuten? Oder sind es Augäpfel, die das brutale Erblinden Glosters prophezeien? Jedenfalls lassen Nazgol Emami (Videodesign) und Michael Frank (Licht) immer wieder doch noch etwas hinter dem dunklen Tragödiengrund erahnen, das anregende Rätsel aufwirft. Schade ist, dass die Projektionen aber auch dazu verwendet werden, einige der Figuren auf die Stellwände zu beamen, scheinbar nur, um dem Publikum zu zeigen, über wen gerade gesprochen wird. Da hätte ruhig auf den Text und die anderen theatralen Mittel vertraut werden können, die die Geschichte schon verständlich genug auserzählen. Auch der Kunstgriff, einen Monolog Lears, die Schlacht oder den Tod Edmunds mit Projektionen zu figurieren, trägt leider wenig zur Inszenierung bei. Insbesondere das Projizieren des toten Edmund (und später aller anderen Toten) stört das sonst so stimmige Abschlussbild der Inszenierung.
Gänzlich schlüssig und grandios ist hingegen die Musik von Pablo Giw. Sein ständiger Einsatz auf der Bühne mit Instrumenten und Mischpult eröffnet Klangwelten, die einerseits den Gang der Handlung untermalen und stützen, zugleich aber auch dahinter verweisen und die Zuschauer*innen in andere Sphären hinter ‘das Nichts’ mitnehmen. Erneut beeindruckt die BURG mit der neuerlichen musikalischen Qualität.
Hervorragendes Ensemble
In all der Dunkelheit glänzt das Ensemble! Alle verstehen es bestens, zwischen den tragischen und komödiantischen Registern Shakespeares zu wechseln. Martin Reinke gibt einen zunächst wütenden und immer wirrer werdenden Lear, dem man von Anfang bis Ende nur gebannt bei seinem Verfall zusehen kann. Katharina Schmalenberg hat mit ihren drei Rollenwechseln (Cordelia/Narr/Edgar) viel zu tun und ist darin meisterhaft: Sie verleiht als Edgar den Spiel-im-Spiel-Strukturen Shakespeares eine aufregende Dynamik und treibt sie mit den inszenierungsbedingten Rollenwechseln an die Spitze. Lilith Häßle (Regan) und Sylvie Rohrer (Goneril) spielen zwei machtbewusste und skrupellose Schwestern, die sich in der misogynen Welt der Männer zu beweisen versuchen. Gewitzt erscheint Bruno Cathomas als Herzog von Albany und zugleich ähnlich zerstört wie Lear als Graf von Gloster. Zum Schluss gibt es vor allem für die Spieler*innen und den Musiker kräftigen Applaus.
Applaus für diesen starken Sprechtheaterabend!
Regie: Rafael Sanchez | Bühne: Simeon Meier | Kostüme: Ursula Leuenberger | Komposition und musikalische Einrichtung: Pablo Giw | Videodesign: Nazgol Emami | Licht: Michael Frank | Dramturgie: Stawrula Panagiotaki (Köln), Jeroen Versteele (Wien) | Mit: Martin Reinke, Katharina Schmalenberg, Sylvie Rohrer, Lilith Häßle, Seán McDonagh, Bruno Cathomas, Pablo Giw, Komparserie
© Tommy Hetzel