Schauspielhaus Wien zu Gast im Theater Odeon /// 15. Oktober 2021 /// Uraufführung Oxytocin Baby.
Die Gewinnerin des Hans-Gratzer-Stipendiums 2020, Anna Neata bringt mit ihrem Text „Oxytocin Baby“ eine hochaktuelle und viel zu selten diskutierte Thematik über Mutterschaft, Abtreibung, Fehlgeburt und Selbstbestimmung auf die Bühne.
Rieke Süßkow (Regie) konstruiert Materialität im theaterästhetischen Diskurs mit einer feinen Dramaturgie (Lucie Ortmann), indem Bewegungen mit der Sprache der acht Schauspieler*innen, körperliche Prozesse von Geburtenkontrolle mit musikalischer Begleitung zu einer sinnliche Wahrnehmung vereint werden und die Thematik damit eindringlich erfahrbar gemacht wird. Die Hauptfigur “Baby” bewegt sich zwischen sozialen Beziehungen und staatlicher Macht und das Publikum erlebt ein Stück Frauengeschichte und einen Themenabend über eine tagesaktuelle Debatte.
Lautes Babygeschrei ertönt aus der Guckkastenbühne, das sich mit dem Songtext-Zitat „Baby One More Time“ in professionellen Gesang verwandelt. Eingehüllt von dominierenden Farbklischees in rosa-pink schiebt sich der Chor als Babydolls verkleidet mit künstlichen Puppenmasken und genauen, choreographischen Bewegungsphrasen zwischen den Bühnenschichten hin und her. Ein wegweisender Einstieg in die Inszenierung. Gespreizte Beine, eine riesige Zange, wiederholtes lautes Knirschen, ein unfähiger Frauenarzt. Diagnose für „Baby“: Schwanger. „Letzte Nacht hatte ich einen Traum, Sandkorn im Bauch soll da nicht mehr sein“, sagt Baby. Es rotiert, beißt und bringt sie zum Kotzen, der Arzt lässt sie allein mit der Entscheidung:
„Das mit den Tabletten ist jetzt zu spät, für das Andere müssen Sie rausfahren“.
Das titelgebende Hormon Oxytocin, auch Kuschelhormon genannt, sorgt für zwischenmenschliche Bindungen und Empathie. Es kann aber auch eine Abgrenzung verstärken und das bekommt Baby deutlich zu spüren. Sie sieht sich nur mehr als Fischschuppe und bemerkt, wie der „Fisch“ in ihr Körper und Geist voneinander trennen. Vergeblich sucht sie nach Abtreibungswerbung im Internet, was im Subtext auf die deutsche Debatte § 219a StGB anspielt, die einen Zugang zu genauen Abtreibungsinformationen verwehrt und in Österreich nicht weniger präsent ist. Weder das Geld noch das Ersparte reichen für die hohen Kosten. Der Vater drückt ihr unbeteiligt einen kleinen Geldschein in die Hand und legt ihr nahe, für den Rest arbeiten zu gehen.
„Mutterschaft, aber Vaterstaat“
Die patriarchale Welt mit dem Vater und Freund „Schleim“, der seine Funktion nach der Bedeutung seines Namens erfüllt, und seine Meinung zurückhält.
„Für dich gibt es das Wir kostenlos und eine Hintertür“,
ertönt es vom Chor, die sich inzwischen als „Hexen des Vertrauens“ und Archiv personifizieren und historische Frauenfiguren wiederbeleben: Die Wienerinnen Marie Baschtarz und Marie Bernhuber, die illegale Abtreibungen durchführten und hier unter einem grünen Gewand mit sich und ihrer Arbeit verschmelzen. Sokrates´ Mutter, die Hebamme war und der Hollywoodstar Marylin Monroe dessen Blick erstmals auf die Frau Norma Jeane gerichtet wird, die mehrere Fehlgeburten erlitt und mit einer umgehängten Schärpe als „miss carriage“ Platz eingeräumt bekommt. Baby ist eine handelnde Figur, die sich für eine Abtreibung entscheidet, selbstermächtigt, um ihr situatives Wohlergehen zu vertreten. Doch zwischen dem Recht auf Selbstbestimmung, Illegalität und Lebensgefahr wird das soziale Umfeld instabil. Die Inszenierung findet eine Rahmung, indem sie Historie und vergangene Praktiken aufarbeitet, um die Themenfelder auf künstlerische Weise weiterzuverarbeiten. Stereotype werden vielmehr durch bekannte Metaphern neu gefordert, um den Diskurs Mutterschaft und Geburtenkontrolle zu behandeln. Es weist auf ein erweitertes Konzept staatlich geregelter Biomacht hin, die hier keine wertfreie und neutrale Stellung bezieht und in ihrer Dringlichkeit in Zukunft wohl noch häufiger zu dem Thema Position beziehen muss.