WerkX /// 29. Oktober 2021 /// Früchte des Zorns – Schauspiel in drei Akten nach dem Roman von John Steinbeck
Eine Familie von Farmern flüchtet in der „großen Depression“ der 1930er Jahren aus ihrer Heimatstadt Oklahoma nach Kalifornien. Eine Inszenierung von Harald Posch, der den historischen Roman in der Gegenwart verortet und dabei bemerkenswert realitätsnah und sozialkritisch inszeniert.
Es herrscht Aufbruchstimmung auf der Bühne. Die Farmersfamilie Joad muss ihre Sachen zusammenpacken und ihre Heimat verlassen. Darunter die Mutter (Oana Solomon), der Vater (Ayo Aloba), die hochschwangere Tochter (Barča Baxant), der auf Bewährung aus dem Gefängnis entlassene Sohn Tom Joad (Sebastian Wendelin), und durch eine zufällige Begegnung auch der Wanderprediger Jim Casy (Martin Hemmer). Schulden, aufgelöste Verträge, leere Felder, Staub, Arbeitslosigkeit. Der Kapitalismus überdeckt die Häuser Oklahomas. Das laufende Fließband in der Mitte der Bühne bringt sie auf den Weg ins „Land der Träume“, wie auch die grünen Leuchtlettern „Dream“ prophezeien, allerdings ohne zu Wissen, dass dieses Band die Arbeit bereits abnimmt. Ohne Rechte und Papiere und mit den blauen Ikea-Taschen erfahren sie dabei kein Land, dass sie einlädt, sondern eine Grenzhüterin mit Warnweste und Gartenschlauch in der Hand. Ein kalter Wasserstrahl prasselt ihnen entgegen, Asyl wird ihnen nicht gestattet. So Campen sie vorerst vor den Zäunen der Grenze. Der Großvater stirbt auf der Reise, dessen Seele wohl nie die Heimat verlassen wollte.
Keine Liebe und Solidarität, sondern reiner Geschäftssinn
In der Massenunterkunft für Einwanderer ist der Vater kurz vor dem Verdursten und die Tochter erleidet eine Fehlgeburt – Die Hoffnung stirbt zuletzt. Die Arbeit ist eine profitbringende Leistung; es geht um Wachstum, nicht um Wohltat. Die Familie erlebt Ausbeutung durch Kapitalismus gesteuerte Großunternehmer. „Banksicherheit, Luxus, Vergnügen, Erfolg“,
„die Orangen dürfen den Profit nicht verlieren“
lautet die Devise und wird als Textprojektion abwechslungsreich eingeblendet, das dem Stück zusätzliche Bewegung verleiht. Ein Tageslohn von 2ct und keine Unterkunft. Die Familie akzeptiert aus der Not heraus die Strukturbedingungen, zeigen aber auch Widerstand entlang der Ausbeutungskette. Das eigene Schicksal an den christlichen Glauben und Gott zu hängen hilft nicht mehr, meint Casy, der nicht mehr als Prediger im Amt ist. Es braucht Aktion, Revolution, Kampf und Streik. Dem Titel „Früchte des Zorns“ nach zu Urteilen ist nun der Zorn Gottes im Spiel, der sein Volk im Stich gelassen hat. Um die Früchte zurück zu erobern braucht es Selbsthilfe und Solidarität.
„Flüchtlinge als Kunst ist Kasperletheater“
Der Leitsatz zum Wendepunkt der Inszenierung. Eine Umkehrung findet statt, die Schauspieler*innen verlassen ihre Rollen und betrachten ihre eigene Inszenierung. Beobachtung der Beobachtung der Beobachtung. Eine spannende Betroffenheit und Involviertheit des Publikums wird erzeugt, mit einer Hochkultur, die auf aktuelle Krisen und die bestehende Flüchtlingssituation blickt. Es ist der wiederkehrende, überwiegend europäische, weiße, patriarchale Blick mit einem Publikum das im „White Cube“ sitzt. Damit wird auf Denkmodelle angespielt, die sich selbst Überschätzen und eine Unfähigkeit aufzeigen, anstatt die eigenen Privilegien, Besitz- und Blickverhältnisse aktiv wahrzunehmen und infrage zu stellen.
Am Schluss stehen eine Menge Themen im Raum, so viel Neues ist nicht mehr dabei und eine konkrete Lösung wird nicht angeboten. Doch die Inszenierung regt an, den eigenen Standpunkt zu verlassen: Das was einem selbst widerfährt ist genauso wichtig, wie das eines Anderen. Alle gehören zur Gesellschaft der Unterdrückung. Ein komplexer Abend mit identitätspolitischen Ansätzen, die in ihrer Fülle an gesellschaftlichen Missständen sich in einer Vielzahl von Deutungen ab und an verlieren. Das gut durchdachte Bühnenbild, die starken Monologe, die dicht an die Sprachmelodie von John Steinbecks Roman angelehnt werden, überzeugen treffend den ganzen Abend.
Eine überraschend diverse, authentisch neue Besetzung am WerkX ist zu sehen und eine besondere Verzahnung von Historie und Gegenwart wird hergestellt, bei dem zeitgenössischer Kapitalismus und Flüchtlingskrise einem sprachlich und visuell kalt entgegen spritzen.