Bulgarisches Nationaltheater „Iwan Wazow“ /// 23.07.2024 /// Den Haag
Prigoschin, Kowaltschuk und Putin betreten die Bühne des Nationaltheaters in Sofia. Sie und andere bekannte russische Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens und der Politik stehen vor dem internationalen Strafgerichtshof in Den Haag: die Moderatorin des Prozesses ist ein kleines Mädchen, das von dem bewaffneten Konflikt zwischen Russland und der Ukraine betroffen ist. Wer ist daran schuld? – versucht es herauszufinden.
Die Autorin des Stücks ist Sasha Denisova – sie ist ukrainischer Herkunft und verfügt über eine reiche Theatererfahrung. Das Stück wurde erstmals in Polen aufgeführt. Einige Monate später wurde es auch in das Programm des Arlekin Players Theatre in Boston, USA, aufgenommen. Am Ende desselben Jahres, 2023, findet „Den Haag“ sein Publikum in Bulgarien; das Genre wird als „politische Phantasmagorie auf der Grundlage eines tatsächlichen Falls“ definiert. Mit seiner Brisanz und Aktualität hinterlässt das Stück sofort Eindruck, auch durch den dramaturgischen Ansatz, der darauf abzielt, das Gleichgewicht zwischen Fakten und Fiktion zu wahren.
Eine weitere interessante Komponente ist die Anwesenheit eines Anwalts der Angeklagten, der die allgemein akzeptierte russische Sichtweise des Konflikts darstellen soll. In diesem Zusammenhang wird der Betrachter oft Zeuge von Ironie und Sarkasmus seitens ihrer Gegner.
Ein zentraler Punkt der Handlung ist die Suche nach dem Schuldigen unter den inhaftierten russischen Vertretern und die Frage, welche mildernden Umstände akzeptabel wären: Wer würde die Verantwortung übernehmen – derjenige, der die Befehle ausführt, oder derjenige, der sie erteilt? Eine ähnliche Frage erinnert uns an das bekannte Bild der Nürnberger Prozesse nach dem Zweiten Weltkrieg, bei denen sich treue Anhänger der Nazi-Ideologie nach der Niederlage Deutschlands öffentlich von ihr lossagten. In dem Stück findet sich eine ähnliche Anspielung in der Implikation, dass die Ein-Parteien-Herrschaft von Sympathisanten nicht durch politischen Erfolg, sondern durch Manipulation und Ehrfurcht gewonnen wird. Dem imaginären Prozess zufolge hatten die Angeklagten selbst keine aktuellen Informationen über das Geschehen an der Front, und der russische Angriff wird eher als chaotisch denn als minutiös geplant dargestellt.
Die Regiearbeit von Galin Stoev ist beeindruckend und schafft es, die Ausstrahlung jeder der Figuren zu verstärken und ihre einzigartige Präsenz auf der Bühne hervorzuheben. Ihre Bewegungen im Raum veranschaulichen dem Zuschauer mehr über ihren Charakter, während ihre Intonation und ihr Verhalten einen gewissen Eindruck von ihrer Weltanschauung und spezifischen Rolle im Kontext der politischen Ereignisse vermitteln. Die Beleuchtung und die Soundeffekte tragen dazu bei, nicht nur eine geschäftsmäßige Gerichtsatmosphäre zu schaffen, sondern auch die zutiefst persönlichen Erfahrungen eines kleinen Mädchens darzustellen, das mit den Trümmern seiner Kindheit konfrontiert wird.
„Den Haag“ stellt schwierige Fragen und ruft bei den Zuschauern eine Reihe von Emotionen hervor. Rechtfertigt der Krieg die Unmenschlichkeit? Rechtfertigt das Ziel seine Opfer…?