Akademietheater /// 03. November 2018 /// Der Kandidat
Unamüsiert sitze ich unter kichernden Vertreter_innen des Wiener Großbürgertums. Sie lachen, worüber ich nicht lachen kann: Die Absurdität rechts-konservativer Politik, an der Menschen IRL zugrunde gehen werden.
Später wird das Publikum darüber staunen, wie die Schauspieler_innen das wohl machen: Auf dem sich drehenden Roulette-Rad laufend zu spielen, so ganz ohne zu sich zu verletzen. Davor erzählt Georg Schmiedleitner in Modern-Times-Manier den Witz, in dem die Welt zugrunde geht. Der unanständig reiche Leopold Russek geht mit 42 in Pension. Aus Langeweile beschließt er – ehemals von Beruf Heuschrecke -, Nationalratskandidat zu werden. Inhalte sind ihm egal (der primäre Witz des Abends), es geht schließlich um’s Gewinnen.
Dass er dazu über Leichen geht wird klar, als er dem U-Bahn-Zeitungs-Leitartikel-Journalisten Bach seine Frau anbietet und seine Tochter misshandelt, weil diese nicht den Sohn des Grafen, dessen Zustimmung er für seine Wahl benötigt, ehelichen möchte. Die Inszenierung Schmiedleitners schreit im Minutentakt “Gags, Gags, Gags”. Was lustig sein soll, ist die Dummheit des Kandidaten sowie das brachial dem Lustprinzip folgende Verhalten des Ensembles.
Beeindruckend gesetzt ist die Bühne: Mal Roulett-Rad, mal Puderdöschen, mal Bühne einer glänzenden TV-Show dient die Drehbühne als Parkett der nationalen Politik, auf das sich die Figuren immer wieder stützen, von dem sie aber auch immer wieder fallen.
Wunderbar ist Valentin Postlmayr als Sohn des Grafen. Nahezu wortlos stellt er einen grotesken Pflichterfüller dar, der mimisch Teil an den Debatten nimmt, in denen er – ebenso wie die Frauenfiguren im Stück – rein auf seine geschlechtliche und gesellschaftliche Funktion beschränkt ist.
Georg Schmiedleitner entscheidet sich für eine stark sexualisierte Lesart des Stoffes, die auch vor der längst kritisierten “naturalistischen” Darstellungsweise sexualisierter Gewalt von (voll bekleideten) Männern an (spärlich bekleideten) Frauen auf der Bühne keinen Halt macht. Sabine Haupt’s Darstellung der PR-Strategin in schlangenhafter sexualisierter Anzüglichkeit leuchtet zwar ein, ermüdet aber auch etwas. All das hat man schon zu oft gesehen: Texte über Männer, die die Welt ruinieren. Frauen, als sexualisierte Spielbälle des Systems inszeniert. In Zeiten des Austritts aus dem Migrationspakt und der Abschaffung der Notstandshilfe bleibt einem bei Schmiedleitner’s “Der Kandidat” nicht gerade das Lachen im Halse stecken. Dazu kennt man die Problematik des Faschismus zu genau. Und sie ist zu offensichtlich ein Problem unserer Zeit. Wo hier der Witz sein soll, bleibt ebenso offen, wie die Frage, wer hier lachen soll. Betroffene aktueller “Reformen” der österreichischen Regierung vermutlich nicht.
Fazit: Die beeindruckende Bühne von Volker Hintermeier verspricht mehr, als die Inszenierung halten kann. Am Ende fehlen dem Abend Ecken, Kanten und eine klare Positionierung. Die ultrareichen Faschisten dieser Welt sind echt. Sie sind kein Witz, der auf eine Theaterbühne gehört.
Der Kandidat
Carl Sternheim nach Flaubert
Fassung und Bearbeitung Florian Hirsch
Regie: Georg Schmiedleitner
Bühne: Volker Hintermeier
Kostüme: Su Bühler
Musik: Matthias Jakisic, Sam Vahdat
Licht: Norbert Joachim, Volker Hintermeier
Dramaturgie: Florian Hirsch
Herr Russek: Gregor Bloéb
Frau Russek: Petra Morzé
Luise, ihre Tochter: Christina Cervenka
Evelyn, Anwältin: Sabine Haupt
Grübel, Medienunternehmer: Florian Teichtmeister
Seidenschnur, Fotograf: Dietmar König
Bach, Redakteur: Sebastian Wendelin
Der alte Graf Rheydt: Bernd Birkhahn
Der junge Graf Rheydt, Gistl, Moderator: Valentin Postlmayr
Lobbyisten: Philipp Quell, Ivana Stojkovic
The Populists: Matthias Jakisic, Sam Vahdat
© Georg Soulek/Burgtheater.
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