Vestibül, Burgtheater Wien /// 19. November 2023 /// Abgefuckt
Zwei Jugendliche, viele Probleme und die großen Sinnfragen…
Im Fokus des Stückes Abgefuckt (nach einer Geschichte von Julie Maj Jakobsen und Petrea Søe) stehen zwei Teenager, Emma und Emil, mit ihren jeweiligen Lebensrealitäten. Sie stellen sich die großen Fragen: Wer bin ich? Was macht mich aus? Was sind meine Vorbilder? Es werden viele Antworten gegeben und keine bleibt endgültig.
Emil identifiziert sich zunächst über seinen Besitz. Das Tablet, die Schuhe: Dafür ist er in der Schule bekannt und beliebt, das lässt ihn aber auch arrogant gegenüber anderen auftreten. Doch diese Identität gerät ins Wanken, als der Gerichtsvollzieher alle Gegenstände wegen der Schulden seiner Mutter konfisziert. Was ist Emil nun? Wofür wird er eigentlich gemocht? Welche Bedeutung bekommt eine kleine Schatulle, die er als Erbstück von seinem Großvater erhält? Emma stellt sich ebenfalls die Frage nach dem eigenen Ich: Sie möchte so sein wie Emil! Oder nein, doch wie Viktoria, die Neue in der Klasse, die soooooo cool ist! Sie ist unsicher, sucht sich immer wieder neue Vorbilder, gewinnt aber zunehmend immer mehr Selbstbewusstsein. Am Ende kontert sie souverän Emils doofe Sprüche. Doch auch ihre Familie hat finanzielle Sorgen, als ihre Mutter Anna den Job verliert.
Sobald sich Erwachsene an die Darstellung von Kindern und Jugendlichen wagen, drohen die Inszenierungen in Lächerlichkeiten, Stereotype und übertriebene Verkindlichungen abzurutschen – auf der einen Seite die ernsten Erwachsenen, auf der anderen Seite die ‘kleinen Kinder’. Die Inszenierung von Abgefuckt in der Regie von Tobias Georg Jagdhuhn nimmt die Probleme der zwei jungen Menschen hingegen ernst: Edward Lischka und Laetitia Toursarkissian wechseln lässig zwischen ihren Rollen als Eltern und Kinder. Toursarkissian setzt bei jeder ihrer Rollen (Emma, Emils Mutter und Anna) ergreifende, subtile Nuancen. Emil und Ulrich werden von Edward Lischka hingegen etwas naiv und übertrieben gespielt. Das provoziert zwar Lacher im Publikum, etwa wenn er als Ulrich seine Frau Anna von dem tollsten Besteck für eine Konfirmationsfeier überzeugen möchte, lässt ihn aber schauspielerisch neben seiner Kollegin etwas blasser dastehen.
Insgesamt ist die Reduzierung des Personals auf zwei Schauspieler*innen aber ein guter Kniff. So entstehen keine großen Gräben zwischen der Eltern- und Kinderdarstellung. Auch der episch gehaltene Stil der Bühnenadaption zwingt die Darsteller*innen in keine vollkommenen ‘Teenager-’Imitationen wie zum Beispiel peinliche Dialoge in vermeintlicher ‘Jugendsprache’.
Das Bühnenbild ist schlicht. Eine Blackbox mit Metallgestellen, Metallquadern und Gummischläuchen reicht aus. Diese dienen als Zelt beim Familiencamping, schicke Leuchtdeko in einem Baum oder werden zu einer hohen Brücke, auf der sich Emil und Emma begegnen. Das kleine Vestibül zeigt sich auf diese Weise wundervoll kreativ wandelbar, sobald man sich auf die Anregungen der eigenen Phantasie einlässt.
Abgefuckt ist ein schönes, kurzweiliges Theaterstück über das Heranwachsen und soziale Probleme, das man sich nach dem Applaus gerne auch länger angeschaut hätte.
ABGEFUCKT
von Julie Maj Jakobsen
Nach einer Geschichte von Julie Maj Jakobsen und Petrea Søe aus dem Dänischen von Franziska Koller
Emil/Ulrich: Edward Lischka | Emma/Emils Mutter/Anna: Laetitia Toursarkissian | Regie: Tobias Georg Jagdhuhn | Bühne: Julius Leon Seiler | Kostüme: Maria-Lena Poindl | Musik: Gabriel Wörfel | Licht: Rodrigo Martinez | Dramaturgie: Christina Schlögl
Mehr Informationen hier: Abgefuckt | Vestibül
Fotos: ©Marcella Ruiz Cruz