Theater in der Josefstadt /// 04.06.2024 /// Leben und Sterben in Wien
Die Magd Fanni (Katharina Klar) und der Freigeist Sara (Johanna Mahaffy) verbindet eine innige Freundschaft. Nach dem Verschwinden von Sara flüchtet Fanni von ihrem alten Leben am Bauernhof. Fanni macht sich auf den Weg ins „rote Wien“, um Saras Vater (Günter Franzmeier), einem sozialistischen Theaterdirektor, den letzten Brief von seiner Tochter zu überbringen. Fanni findet in den Sozialisten eine neue Familie und schließt sich ihnen an. Doch das Aufkommen einer Krise deutet sich an: Die Februarkämpfe im Jahr 1934.
Das Stück spielt in einer gespaltenen Gesellschaft im Wien der Zwischenkriegszeit. Der Autor Thomas Arzt stellt sich auf die Seite der Verlierer und der Vergessenen: der Sozialisten. Diese bereiten sich auf einen Widerstand gegen die Faschisten vor. Sie schmuggeln Waffen und rekrutieren Genossen für ihr Vorhaben. Die Polizei, vertreten durch Inspektor Inninger (Joseph Lorenz), hält die Sozialisten auf Trab.
Choreographin Daniela Mühlbauer schafft es, mit dem 20-köpfigen Bewegungschor abwechslungsreiche Tanzeinlagen hervorzuholen. Der Chor nimmt uns mit in die Kultur der Zwischenkriegszeit. Vom Bauerntanz, über die Cabaret-Einlage, in der Mussolini und Hitler parodiert werden, bis hin zur sozialistischen Parole ist alles dabei.
Fanni entwickelt sich von einer im Leben eingeengten Bauernmagd zu einer selbstständigen Akademikerin und Mutter. Katharina Klar stellt diese Entwicklung grandios dar. Klars Schauspiel ist furchtlos und gewagt, eine Darstellung, die in Erinnerung bleibt. Johanna Mahaffy als Sara bringt Menschlichkeit in das sonst dunkle Stück. Durch einfallsreiche Rückblenden, die durch die Inszenierung Föttingers fließend von der Gegenwart in die Vergangenheit übergehen, erfahren wir, dass zwischen ihr und Fanni eine Liebesbeziehung bestand.
Neben diesen Hauptfiguren wirken die Nebenfiguren flach. Die Darstellung der Bauern und Sozialisten sind stereotyp und eindimensional. Die Sozialisten sprechen in einem typischen, klischeehaften Jargon, den man bereits häufig in anderen Werken gehört hat. Zudem gibt es Nebenfiguren, die in ihrem Glauben und ihren Ansichten von einer Szene zur nächsten eine 180-Grad-Wendung vollziehen.
Der Theaterdirektor der Josefstadt und Regisseur dieses Stücks, Herbert Föttinger, bringt das gespaltene Wien der 1920er und 1930er Jahre auf die Bühne. Mit seiner dynamischen Inszenierung kommt das Stück schnell ins Rollen und wird nie langweilig. Das Bühnenbild von „Die Schichtarbeiter“ zeigt eine zerrissene, zerstörte Stadt, die in Nebel getaucht ist. Viel Licht und Farbe werden hier nicht geboten, was die bedrückende Atmosphäre zusätzlich unterstreicht. Matthias Jakisic verstärkt das düstere Stimmungsbild mit seinen musikalischen Einlagen. Mit dem Klang einer einsamen Solovioline kapselt er die Protagonisten in eine hoffnungslose Welt ein.
Mit „Leben und Sterben in Wien“ wurde ein unterhaltsames Erinnerungsstück geschaffen. Das Stück fungiert als warnende Erzählung („cautionary tale“) und beschreibt die Ereignisse der 1930er Jahre, als die Bevölkerung gespalten war. Es erinnert uns daran, dass sich die Geschichte jederzeit wiederholen kann.
LEBEN UND STERBEN IN WIEN
von Thomas Arzt
Uraufführung, Premiere am 7. März 2024
Mit: Katharina Klar, Johanna Mahaffy, Jakob Elsenwenger, Robert Joseph Bartl, Lore Stefanek, Alexander Absenger, Nils Arztmann
Regie: Herbert Föttinger, Bühnenbild: Die Schichtarbeiter | Kostüme: Birgit Hutter | Komposition und Live-Musik: Matthias Jakisic | Choreographie: Daniela Mühlbauer | Dramaturgie: Matthias Asboth | Licht: Manfred Grohs
Mehr Informationen hier:
https://www.josefstadt.org/programm/stuecke/stueck/leben-und-sterben-in-wien.html
Weitere Termine:
Do. 20. Juni 2024 / Sa. 14. Sep. 2024 / So. 15. Sep. 2024 / Do. 19. Sep. 2024 …
Letzte Vorstellung: Fr. 10. Jan. 2025
Fotos: © Moritz Schell