Halle G im Museumsquartier /// 23. Mai 2019 /// Contes Immoraux – Partie 1: Maison Mère
Als Punk-Superheldin baut Phia Ménard ein Karton-Parthenon, welches aber nach jedem einzelnen, mühevollen Kraftakt erneut einzustürzen droht. Ein wortloses Stück, welches in seiner Aussagekraft dennoch keinerlei Aussparungen macht.
Zu Beginn ist es in der Halle totenstill. Die Frau – angezogen wie eine moderne Harley Quinn – umkreist wortlos die riesige Pappvorlage auf dem Boden und wirft dann mit gehetzter Wut die unnützen Teile in eine Ecke. So verschwiegen wie es anfing, geht es dann auch weiter, während die Darstellerin beginnt die formlose Platte unter Mühen zu einem gewaltigen Gebilde zusammenzubauen. Mit Entschlossenheit und Kraft zieht, schiebt und drückt sie die Wände des Monuments in Position, als würde sie einen Berg versetzen wollen. All die Anstrengungen für ihr “Maison Mére” sind jedoch umsonst, denn am Ende wird es durch Regen aufgeweicht und stürzt unter der Last zusammen. Rauchwolken und Wasserfluten lassen das eingestürzte Kartonhaus wie ein Kriegsgebiet erscheinen.
So wie Phia Ménard da in ihren Netzstrumpfhosen und dem Leder Minirock auf Knien gerutscht ist, um ein Peripteros aus Pappe und Klebeband zu errichten, erinnerte sie an eine Art Schutzgöttin der europäischen Unterschicht des 21.Jahrhunderts. Mit Strategie, Kampf und Handwerk – also Attributen, für die auch die Göttin Athene steht – errichtete sie ihr ganz eigenes Parthenon. Der Versuch war gut, aber so wie viele andere “Papp-Konstrukte” der Politik und Gesellschaft, musste auch dieses zwangsläufig irgendwann einstürzen.
Bei einem 90 Minuten langen Stück mit minimalistischer Bühnenausstattung könnte man befürchten von der Darstellung unterfordert zu werden. Überraschenderweise war hier aber das Gegenteil der Fall. Das konsequente Einschränken von Eindrücken legte den Fokus stark auf die kleinen Details, was in diesem Fall vor allem Geräuschkulissen waren. Zu Beginn hörte man nur hier und da ein Tropfen, hallige Laute, wie aus einem Fabriklager und das demonstrative Klacken der Absätze bei jedem jägerischen Schritt um den Karton. Langsam mischte sich dann auch ein herbeigeführtes, verzögertes Widerhallen der Baugeräusche hinzu und selbst das Husten aus dem Publikum wurden somit künstlich zurückgehallt. Am Ende – während das Parthenon allmählich einzustürzen drohte – kam ein tosender Lärm hinzu, der eine apokalyptische Stimmung erzeugte. Dieser klangliche Verlauf ergab ein akustisches Gesamtbild, welches den leeren Raum ausbleibender Dialoge völlig ausfüllte und viele Interpretationsmöglichkeiten zuließ. Für mich ergab sich daraus vor allem eine politkritische Auslegung der Inszenierung. Eine vorgefertigte Kartonvorlage, sich hallend wiederholende akustische Untermalungen und die langsame Beobachtung des katastrophalen Zusammensturzes eines von vorne herein wackeligen Konstruktes – ob das wohl eine Anspielung auf europäische Scheinpolitik und deren Tunnelblick für sich anbahnende Konsequenzen ist?
Fazit: Dass ein Bühnenstück auch völlig ohne Worte auskommen kann und deshalb nicht unbedingt weniger Inhalt transportiert, hat Phia Ménard mit “Maison Mère” beispielhaft demonstriert. Neben ein paar wenigen, sich ziehenden Momenten des Wartens, hielt sich auch die Spannung überraschend wacker, denn man musste schon während des Bauprozesses jeden Moment einen Einsturz des Gebildes erwarten. Ein gelungenes modernes Bühnenwerk.
CONTES IMMORAUX – PARTIE 1: MAISON MÈRE
Künstlerische Leitung, Choreografie, Performance: Phia Ménard
Künstlerische Mitarbeit: Jean-Luc Beaujault
Musik, Sound: Ivan Roussel
Inspizienz: Pierre Blanchet, Rodolphe Thibaud
Kostüm: Fabrice Ilia Leroy
Technische Leitung: Oliver Gicquiaud
Regieassistenz, Produktionsleitung, Administration: Claire Massonnet
Produktionsassistenz: Clarisse Mérot
Öffentlichkeitsarbeit: Adrien Poulard
Assistenz Koordination: Tour Lara Cortesi
Kommunikation: Génica Montalbano
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Bildrechte: © Jean-Luc Beaujault