TAG /// 24.1.2025 /// Lear
Gernot Plass verlässt das TAG mit einem überzeugenden “Lear”, der uns in die Tiefen der Macht verführt.
König Lear (Jens Claßen) geht in Pension und möchte sein Land verteilen; seinen ihn umschmeichelnden Töchtern Goneril (Michaela Kaspar) und Reagan (Lisa Schrammel) gibt er jeweils einen Teil, Cordelia (Lisa Weidenmüller), die ihm keine heuchlerische Tochterliebe vorspielt, verstößt er. Aber den Töchtern sind ihre geerbten Gebiete nicht genug und wollen den Vater entmachten. Auch sein Ratgeber Gloster (Georg Schubert) hat Probleme mit seinen Kindern: Edmund (Emanuel Fellmer) bezichtigt seinen Bruder Edgar (Stefan Lasko) des Verrats, sodass ihn der Vater in die Verbannung schickt. Während die Kinder die Fäden spinnen, verfallen die Väter zunehmend dem Wahnsinn.
“König Lear” ist eines von Shakespeares komplexen Dramen, dessen Verständnis nicht einfach ist. Der Inszenierung von Gernot Plass gelingt es, die Handlungs- und Ortswechsel verständlich zu vermitteln. Dafür hat das TAG auf mehr Schauspieler:innen als die üblichen fünf Ensemblemitglieder zurückgegriffen, die dennoch mehrere Rollen spielen. Die Hauptcharaktere sind klar definiert, aber bei den kleineren Nebenrollen besteht Verwechslungsgefahr.
Insgesamt wird “Lear” der Vorlage von Shakespeare mehr als gerecht. Die Übertragung auf die Gegenwart findet vor allem zu Beginn des Stückes mit lustigen aktuellen Anspielungen statt, im weiteren Verlauf wird es ernster. Die Parabel auf Hochmut und Machtbesessenheit ist aber auch ohne Aktualitätsbezüge gut begreifbar. Gernot Plass´ textliche Übearbeitung ist wie immer großartig: pointiert, lustig und sprachlich ein Genuss. Auf die Beschimpfungen, die sich die Charaktere an den Kopf werfen, wäre Shakespeare neidisch gewesen.
Kohärent sind Kostüme (Daniela Zivic) und Ausstattung (Alexandra Burgstaller), die komplett in schwarz-weiß gehalten sind und auf diese Weise das Gute und Böse der Personen repräsentieren. Goneril und Regan sind sehr elegant in Businessoutfits gekleidet, bei der Rebellin Cordelia ist diese Farbkombination legerer gestaltet. Im Laufe des Stückes verlieren die Weißtöne an Bedeutung und die Outfits werden immer schwärzer. Als Kulisse fungiert lediglich ein Haufen an Sesseln und als Hintergrund ein großes weißes Leintuch inklusive Tür; manchmal wird auch der Zuschauer:innenraum genutzt.
Die letzten Stücke unter der Intendanz von Gernot Plass haben sich immer mehr von den modernen, gesellschaftskritischen Überschreibungen zu klassischeren Bearbeitungen gewandelt. “Lear” könnte auf eine ähnliche Weise auch auf einer anderen Bühne Wiens zu sehen sein. Vielleicht ist dieses angepasstere Theater aber ein guter Über- und Ausgangspunkt für Sara Ostertags noch unbekanntes neues Konzept für die Übernahme des TAG. Sie tritt dabei in große Fußstapfen, denn das TAG hat in den letzten Jahren am laufenden Band großartige Stücke geliefert. Es bleibt zu hoffen, dass es mit seinem fantastischen Ensemble in Wiens Theaterlandschaft als kritische, innovative Bühne erhalten bleibt.
Lear
Von Gernot Plass
Frei nach Shakespeare
Text: Gernot Plass | Regie: Gernot Plass | Ausstattung: Alexandra Burgstaller | Dramaturgie: Tina Clausen | Licht: Katja Thürriegl Ton: Peter Hirsch | Regieassistenz: Renate Vavera | Regiehospitanz: Cecile Püpke | Kostüm- und Requisitenbetreuung: Daniela Zivic | Bühnentechnik: Manuel Sandheim, Andreas Wiesbauer
Mit: Jens Claßen, Emanuel Fellmer, Markus Hamele, Rüdiger Hentzschel, Michaela Kaspar, Stefan Lasko, Felix Rank, Lisa Schrammel, Georg Schubert, Lisa Weidenmüller
Mehr Informationen hier: Lear – dasTAG.at
Nächste Aufführungen: Fr. 31.1., Sa 1.2., Di 18.2., Mi 19.2., Fr 21.2., Sa 22.2.
Fotos: © Anna Stöcher