Volkstheater Dunkelkammer /// 12. September 2024 /// Phaidras Liebe
Dass nur etwas passieren möge, ersehnt sich Sarah Kanes Hippolytos und sein Wunsch scheint sich zu erfüllen, wenn die gesamte Königsfamilie von Athen inklusive seiner Person am Ende der Tragödie den Tod findet. Laura N. Junghanns inszeniert in der Dunkelkammer Phaidras Liebe textnah und zugleich in einer über die Sprache hinausgehenden erschütternden Gewaltpräsenz, die dem Stoff angemessen ist.
Neben der mit Spiegeln bebauten Bühne vermittelt insbesondere ein anhaltender, immergleicher Trommelrhythmus Gleichförmigkeit und Bedrohlichkeit in einem. Laura N. Junghanns‘ Inszenierung zeigt den Königssohn Hippolytos (Nick Romeo Reimann) schon mit der ersten Szene in einer Kreatürlichkeit, die in ihrer Drastik die von den anderen Figuren vorgetragenen Regieanweisungen noch übertrifft. Sarah Kanes Weisung, dem Regietext so viel Bedeutung beizumessen wie dem Dialog, wird in dieser Inszenierung fein durchdacht umgesetzt, wenn die Figuren die Szenen und ihr Setting immer wieder an prägnanten Stellen selbst vortragen. Obwohl eine klare Einsicht in den Wahrheitsbegriff verwehrt bleibt, steht der Zusammenhang zwischen Sexualität und Gewalt in der königlichen Patchwork-Familie außer Frage.
Friederike Tiefenbacher als Hippolytos‘ Stiefmutter Phaidra (Foto: © Marcel Urlaub)
Bei ständiger Verfügbarkeit alles Materiellen und besonders alles Körperlichen erfährt Hippolytos‘ Apathie erst dann die ersehnten Brüche, wenn er Phaidras (Friederike Tiefenbacher) Vergewaltigungsanklage, formuliert vor ihrem Suizid, als Opfer, ja Geschenk, für sein Erleben begreifen will. „Endlich Leben!“, konterkariert er die Botschaft vom Tod seiner Stiefmutter, von deren Liebe zu ihm ihre Tochter Strophe (Hasti Molavian) und Phaidras Suizid als solcher ihn schließlich überzeugen. Umso schärfer wirkt dieser Kontrast, nachdem die Selbsttötung anders als das Gros der fremdeinwirkenden Gewalt durchaus im Bühnenspiel selbst angedeutet wird. Doch bleibt Hippolytos nicht die einzige Figur, in der Perversion und Abstoß kulminieren. Wenn die Menge die gesamte Monarchie des verbrecherischen, gewaltvollen Handelns bezichtigt, die nun öffentlichkeitswirksam einen Vertreter ausstoßen und hinrichten wolle, agiert diese Menge selbst ebenso empathielos wie ihre Angeklagten. Strophes unsägliche Vergewaltigung und Tötung durch König Theseus holt die Inszenierung durch narrative Passagen aller Figuren ohne Bildkraft auf die Bühne. Dieselben Stimmen beschreiben auch die dies johlend begleitende statt intervenierende Menge. Nachdem der theologische Diskurs der Beichte bereits vorher durch Hippolytos’ Weigerung, sich den Vorwürfen zu verwehren und reuelos Vergebung für ein solches Verbrechen zu erlangen, subvertiert wurde, pervertiert auch dessen Vater Theseus auf andere Weise am Ende das Gefühl der Reue. Denn die klassische Anagnorisis (Wiedererkennung) der antiken Tragödie, die eine wenn auch zu späte Einsicht bedeutet, endet hier nur mehr in Theseus’ Beteuerung, seine Stieftochter Strophe nicht erkannt zu haben. Allein seine Einsicht in ihr Verwandtschaftsverhältnis evoziert sein Schuldgefühl.
Hätte ich gewusst, dass du es bist, –
Theseus im Angesicht der toten Strophe
Ein allumfassendes Erkennen der eigenen Gewalt und vor allem die Reue derselben bleiben sowohl im Königshaus als auch im Volk aus.
Laura N. Junghanns’ gelungene Inszenierung ist fordernd. Weniger auf einer kognitiven Ebene, wenn auch diese ebenfalls viele Diskurse aufgreift und ermöglicht, sondern vor allem psychisch. Neben Ohrfeigen, die die Figuren sich immer wieder selbst zufügen, ist es insbesondere die explizite Sprache der Gewalt, die die Rezeption erschweren kann. Doch diese Rezeptionserfahrung ist es wohl auch, die der Drastik des Stoffes und der No-Future-Mentalität, in die das Programmheft Kane verortet, gerecht wird. Es ist keine Sensations- oder Bildlust, die die Inszenierung zu wecken sucht und dass das Gewicht des Stoffes schmerzt, ist angebracht. Zumindest in diesem Moment scheint in der Dunkelkammer eine brisante Differenz zwischen dem Kollektiv auf den Sitzrängen und dem der Bühnenhandlung zu bestehen, die zu bewahren Text und Inszenierung dringend fordern.
Phaidras Liebe von Sarah Kane
Regie: Laura N. Junghanns | Bühne und Kostüm: Michael Sieberock-Serafimowitsch | Komposition: Sonae | Dramaturgie: Shalyn Hempowicz
Mit: Hasti Molavian (Strophe) | Nick Romeo Reimann (Hippolytos) | Stefan Suske (Arzt, Priester) | Friederike Tiefenbacher (Phaidra)
Mehr Informationen unter PHAIDRAS LIEBE – Volkstheater Wien
Fotos: © Marcel Urlaub