Kosmos Theater /// 14. Juni 2019 /// Haus gebaut, Kind gezeugt, Baum gepflanzt.
Metaphern gibt es viele. Durch Linien, Sportgewand und kollektiven Sprechchor werden die Vorgaben und Muster der Gesellschaft thematisiert und so der holprige Übergang vom Einfügen in die Masse zum Ausbrechen aus der Norm inszeniert.
Die Inszenierung beginnt, da sind die Tore zum Theatersaal noch gar nicht richtig geöffnet. Man traut sich fast nicht Platz zu nehmen, während ein Chor von fünf Schauspieler_innen in Sporttrikots konzentriert seinen verbalen Reigen spricht. Acht- oder neunmal wiederholen sie den gesprochenen Zyklus, bestehend aus kritischen Vorwürfen gegen das Konzept Liebe, Fragen eines psychologischen Partner_in-Tauglichkeitstests und Anmerkungen über das Vorhaben jemandes Gartenmöbel zu zersägen.
Das Stück macht es einer_m leicht, dessen Grundmetapher zu verstehen: Mit dickem schwarzen Klebeband am Boden verräumlicht es die fragwürdigen Richtlinien der Gesellschaft und macht sie so auch für jede_n deutlich erkennbar. Durch diese Linien sind die Darsteller_innen in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt und ihre Schritte kontrolliert, genauso, wie es die obskuren Rollenzuschreibungen der Gesellschaft mit uns tun. Mit einer Genauigkeit, wie man sie sonst nur unter Athleten kennt, halten sie sich an die räumlichen Vorgaben der Linien und bewahren auch eine (größtenteils) perfekte Synchronie. Selbst als die Akteur_innen sich irgendwann aus dem Kollektiv entfernen, fahren/kriechen/laufen/rutschen sie noch an den Linien entlang, bevor sie dann endgültig ausbrechen und zu Quergänger_innen werden.
Verlor eine_r der Schauspieler_innen kurz den Anschluss an das synchrone Kollektiv, dann sackte diese_r kurz wie ein fehlgestarteter Roboter zusammen, um sich zu „rebooten“ und wieder einzugliedern. So bekamen also auch Patzer der Darsteller_innen einen wirkungsstarken Part in der Darbietung.
Die gesellschaftskritische Note des Stückes ist deutlich zu schmecken und will sich speziell gegen die Rollenbilder der Frau stellen. Wer liebt in der Beziehung? Wer muss sich „unterwerfen“? Wer verdient Zuneigung und Nähe? Die Schauspieler_innen werfen diese Fragen direkt und indirekt in den Raum und beantworten sie dabei genauso wenig, wie die Gesellschaft es tut. So geht die erschöpfende Suche des Chors nach Erfüllung weiter.
Die Vermutung, dass an dieser Stelle eine ebenso anstrengende Suche der Frauen nach Gleichstellung, Selbstbestimmtheit und Rollenbefreitheit vermittelt werden soll, liegt vermutlich nahe. Trotzdem bleibt die Wirkung dieser Themen im Stück etwas zurückhaltend, da die Passagen, in denen der Fokus klar und deutlich ein feministischer wird, im Vergleich zu den restlichen Momenten ein wenig untergehen.
Fazit: Das Stück hat viele ausdrucksstarke Elemente, die vor allem durch die Darbietung der Schauspieler_innen ihre Konturen bekommen. Der feministische Charakter der Botschaft, der sich gegen Rollenklischees und gesellschaftliche Beziehungsmuster stellen will, ist zwar vorhanden, bleibt jedoch stellenweise etwas verhalten und hätte durchaus noch etwas provokanter und fordernder kommuniziert werden können.
HAUS GEBAUT, KIND GEZEUGT, BAUM GEPFLANZT.
SO LEBT EIN ARSCHLOCH. DU BIST EIN ARSCHLOCH.
Kollektiv saft & Gäste: Nehle Breer, Rebecca Fuxen, Paul Hüttinger, Jakob Oberschlick, Philipp Pettauer, Anne Schartmann, Miriam Strasser, Sophie Steinbeck, Leona Strakerjahn, Sophie Tautorus, Sümeyra Yilmaz
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Bildrechte: © Bettina Frenzel