Volkstheater /// 09. Oktober 2018 /// Der Kaufmann von Venedig
Ein Klassiker im Volkstheater. Inszeniert von der Chefin höchstpersönlich. Wir waren gespannt. Eine Stunde vor Vorstellungsbeginn trafen wir uns im Café Raimund, das gegenüber des Volkstheaters liegt, und besprachen unsere Erwartungen. Jede_r von uns kannte den Inhalt des Stückes und wir überlegten, warum ein Stück aus dem Jahr 1598 eine aktuelle Spielzeit eröffnet. Clara gab in einer kurzen Einführung einen Überblick über die Themen des Stücks – und mögliche Fragestellungen, die von der Kritik bereits aufgeworfen wurden.
Das Volkstheater hatte uns Karten in der vierten Reihe zur Verfügung gestellt. “Es war mega cool, so weit vorn zu sitzen”, meinte eine Neue Wienerin. Zu Beginn des Stückes musste das Publikum mittels Applausometer eine_n von drei möglichen Darsteller_innen für den “Juden” wählen. Wir empfanden das alle als ziemlich makaber. In der ersten Hälfte wurde ein kleiner Schauspieler mit Kippa ausgewählt. Zu Ende der ersten Hälfte wurde er gedemütigt. Es tat weh, das zu sehen. Während wir alle die Pause eher zum Klogehen nutzten (dafür reicht die Länge der Pause gerade so), stiegen wir nach dem Stück die Stiegen hinauf in den ersten Stock.
In der Roten Bar bekamen wir locker einen der begehrten Couch-Tische. “Überreizt”, war das erste Wort, das uns einfiel. Das grundlegende Glückspiel/Game-Show-Element der Inszenierung fanden die meisten cool. Anderen war es an der Grenze zum “too much”. “Die Figuren waren mir alle zu klischeehaft dargestellt” hieß es von einer Neuen Wienerin. Besonders, dass man direkt nach der Pause zum zweiten Mal den “Juden”, wie es immer wieder betont wurde, wählen musste, war uns unangenehm. “Ich hatte gar keine Lust zu klatschen, oder da jemanden auszusuchen.”, meinte ein Neuer Wiener. Die zweite Hälfte spielte ein weißer, großer, fester Mann im Anzug ohne visuelle Markierungen religiöser Zugehörigkeit die Rolle des Shylock.
“Ich fand, dass es um Gnade geht. Dass man Gnade vor Recht ergehen lassen soll.”
“Aber warum das Wort ‘Jud’ und ‘Jude’ und all diese auf das Jüdische bezogene Beschimpfungen so oft fallen müssen habe ich nicht verstanden.”
“Was sollte die Frauendiskriminierung so plötzlich? Vor dem Heiraten passt Lorenzo alles, er himmelt Jessica an, und sobald er sie hat und sie alles für ihn aufgibt, ihren Job und ihren Vater, behandelt er sie scheiße und macht sexistische Witze.”
“Ich habe erst in der Applausordnung verstanden, dass alle Figuren immer auf der Bühne sind. So als ob alle Spieler in einer gemeinsamen Welt sind.”
Etwas unentschieden empfanden wir die Haltung des Stücks gegenüber dem Publikum. Sollte man sich emotional involvieren oder außerhalb der erzählten Welt bleiben? Für alle blieb einiges offen. Wir entschieden uns, das alles erst einmal sacken zu lassen.
Offene Fragen an die Inszenierung:
Was war das für eine Wüste auf den Vorhängen, die einmal kurz während eines hebräischen Liedes eingezogen wird? Die Golan-Höhen? Israel? Eine Kritik an der israelischen Außenpolitik? Oder Nevada? Eine Kritik am Kapitalismus?
Welche Intention steckt dahinter, die Zuschauer_innen den Juden wählen zu lassen? Kann man der Entscheidung, die dem Publikum überlassen wird, eine Spiegel-Funktion zuschreiben, hinsichtlich Klischees, Vorurteilen etc…?