Bei Neue Wiener Theaterkritik diskutieren wir oft über theaterrelevante Fragen. Die Antworten auf diese sind nicht einfach nur leiwand oder oasch, sondern beinhalten sowohl positive als auch negative Aspekte. In unserem neuen Format „Im Zwiespalt“ fassen wir diese kurz und bündig zusammen – bewusst zugespitzt und ohne eindeutiges Fazit. Denn das überlassen wir euch. Wir freuen uns aber umso mehr über eure Meinungen sowie anregenden Austausch.
Covid-19 bringt das öffentliche Leben seit Wochen zum Erliegen. Auch Theater-, Opern-, und Konzerthäuser sind davon nicht ausgenommen, die Absage unzähliger Vorstellungen ist die Folge. Theaterbesuche bleiben jedoch trotz geschlossener Türen möglich – das digitale Kulturangebot ist seit Ausbruch des Virus regelrecht explodiert. Doch können Mitschnitte vergangener Aufführungen wirklich mit dem Live-Erlebnis mithalten? Und ist der kostenlose, digitale Theaterausflug so unkompliziert, wie er zu sein scheint oder birgt er doch versteckte Probleme? Im Folgenden betrachten wir Theaterstreaming kritisch und zeigen potentielle Vor- sowie Nachteile auf.
Noch nie konnten wir Aufführungen bequemer genießen, unser Slogan „Mit der Jogginghose ins Theater“ bekommt eine völlig neue Bedeutung. Streams sind eine gute (momentan allerdings leider auch die einzige) Möglichkeit, Theater trotz Ausgangsbeschränkungen erleben zu können.
Da diese Angebote meist kostenlos sind, können sie sogar unabhängig von der eigenen finanziellen Situation sowie des Wohnortes genutzt werden. Im Vergleich wirkt selbst das Netflixabo teuer, einzig der Mangel eines multimediafähigen Gerätes oder eine schlechte Internetverbindung könnte zum Problem werden. So wird der Theaterbesuch insbesondere für Menschen möglich, die diesen sonst vermeiden oder davor zurückschrecken, die vermeintlich altehrwürdigen Häuser überhaupt erst zu betreten.
Das Theatergeschehen verschwindet also nicht von der Bildfläche – im Gegenteil. Trotz verwaister Bühnen und leerer Foyers wird im digitalen Raum eifrig über Inszenierungen diskutiert. Durch den Entfall der Ortsgebundenheit können selbst Stücke vom anderen Ende der Welt ohne Probleme ins eigene Wohnzimmer geholt werden. War es schon jemals so einfach und günstig, ein Stück aus New York anzusehen?
Neben den Zuseher*innen kommt das Streamingangebot auch den Häusern und Künstler*innen zugute. Diese können die durch Streams erhöhte Internet- und Medienpräsenz zu Marketingzwecken nutzen und dadurch ganz neue Besucher*innen für die Vorstellungen nach der Krise gewinnen. Streams sind demnach ein Gewinn für alle – genießen wir sie, tauschen wir uns (digital) darüber aus und freuen wir uns auf den Beginn der nächsten Spielzeit im Herbst.
Theater lebt von sozialer Zusammenkunft, vom direkten Austausch zwischen Ensemble und Publikum während des Stücks sowie der Einzigartigkeit jeder Vorstellung. Diese zentralen Elemente gehen durch das Streamen von Aufführungsmitschnitten verloren. Zudem sind viele Aufzeichnungen primär für den internen Gebrauch gedacht und nicht für öffentliche Vorführungen ausgelegt, folglich lässt die Aufnahmequalität oft zu wünschen übrig. Was bleibt, erinnert leider häufig kaum noch an Theater.
Die kostenlose Verfügbarkeit der Streamingangebote ist ein weiterer Aspekt, dessen Problematik oftmals übersehen wird. Kunst- und Kulturarbeit wird in unserer Gesellschaft ein relativ geringer Wert zugeschrieben. Das spiegelt sich in äußerst prekären Beschäftigungsverhältnissen und geringen Einkünften wider (Für besonders Mutige hier das bedrückende Ergebnis der Vergütungsumfrage von theaterjobs.de aus 2013).
Aufgrund dieser finanziellen Unsicherheiten sind Kunst- und Kulturschaffende durch die ökonomischen Konsequenzen der Krise besonders gefährdet. Darum wäre es gerade jetzt von besonderer Wichtigkeit, sich an den enormen Wert von Kunst- und Kultur(arbeit) zu erinnern. Denn eine Bewältigung der Ausgangsbeschränkungen ohne Musik, Bücher, Theater(streams), Serien oder Filme wäre kaum vorstellbar.
Für Kunst- und Kulturschaffende ist deren kreative Entwicklung neben Leidenschaft jedoch gleichzeitig auch Arbeit: Sie bestreiten damit ihren Lebensunterhalt. In Zeiten des Aufführungsverbots wären Künstler*innen besonders auf unsere Unterstützung angewiesen. Stattdessen wird ihr Werk ohne angemessene Vergütung ins Internet gestellt, von uns gratis gestreamt und dadurch der Wert von Kulturarbeit weiter gemindert.
Um dem entgegenzuwirken, gäbe es jedoch auch für uns als Publikum eine Vielzahl an Möglichkeiten: vom frühzeitigen Kauf von Ticket(gutscheinen) für den Herbst, über den Verzicht auf die Refundierung des Kartenpreises abgesagter Veranstaltungen, hin zu Spenden & Crowdfunding. Nutzen wir diese!
Diskussion & Text: Sebastian Klinser und Verena Strasser
Collage: Verena Strasser und Sebastian Klinser