WERK X-Petersplatz /// 11. Oktober 2018 /// Der Christuskomplex
Ohrenbetäubende Technomusik bringt den kleinen Zuschauersaal zum Beben. Das Licht flackert in einem blitzartigen Rhythmus. Zwei halbnackte Darsteller schreiten in schwarzen Latzhosen auf die Bühne. Ihre Blicke sind apathisch und leer.
Die Premiere von „Der Christuskomplex“, eine Produktion vom „theater der sprachfehler“ in Kooperation mit dem WERK X-Petersplatz, die in der aktuellen Spielzeit im Rahmen einer Tetralogie mit „Rost“ (Januar 2019) und „Brücke ins Schwarze“ (November 2018) inszeniert wird, hat begonnen. 15 Minuten zuvor saßen die Zuschauer*innen noch gemütlich bei einem Drink an der Bar beisammen, lauschten der trashigen Musik, unterhielten sich fröhlich und warteten gebannt auf die Vorstellung. Doch diesen Abend gelang man nicht auf direktem Wege zur Vorstellung: Die verdutzten Zuschauer*innen wurden über einen Umweg zunächst raus aus dem Gebäude und anschließend über einen Hinterhof in den Theatersaal geführt, was für einen Moment der Orientierungslosigkeit sorgte und damit einen wunderbaren Auftakt in die Thematik des Stückes bildete.
In ca. 65 Minuten wird in dem Stück von Christian Kühne mittels drei namenloser Figuren die Ohnmacht gegenüber sozialen Beziehungen und die emotionale Gefangenschaft des Ichs abgehandelt. Ausgangspunkt der Handlung bildet dabei die Liebe zweier Menschen, die diesen durch die Einflüsse ihrer gefühlsarmen und hoffnungslosen Umgebung unmöglich gemacht wird. Besonders auf sprachlicher Ebene wird diese Einsamkeit und Verlorenheit gelungen dargestellt, indem die Figuren kaum in Kommunikation miteinander treten – Sie sprechen vielmehr für sich alleine und zerstören somit jegliches Gefühl eines „Zusammenlebens“.
„Sich für ein Gefühl aufgeben, das ist doch kein Leben.“
Ein immer wieder auftretendes Motiv des Stückes ist die ARBEIT: Mit der Arbeit gewinnt das Leben urplötzlich an Sinnhaftigkeit! Das krankhafte Streben nach Leistung und Produktivität mache es zudem noch möglich, alle menschlichen Gefühle zu unterdrücken, erklären die Figuren des Stücks. Die Kritik an einer von Leistung, Materialismus und Egozentrismus beherrschten Gesellschaft – in der wir uns alle wiederfinden können – ist unverkennbar.
Neben unterhaltsamen Singeinlagen von Sascha und Andreas Jähnert ist das Publikum einem hohen sprachlichen Tempo mit raschen Assoziations- und Bewusstseinssprüngen ausgesetzt. Es ist mühsam, den roten Faden nicht zu verlieren, während die Darsteller*innen immer wieder neue Impulse und Wortfetzen in Richtung Zuschauermasse schleudern. Die stetig steigende Dynamik des Stückes wird musikalisch von Peter Pieck mit teils verzerrten Beats und E-Gitarren Tönen untermalt, die in den Ohren wahrhaftig unerträglich klingen. Das düstere Licht und die abgestumpften Figuren hinterlassen eine quälende und bedrückende Stimmung. Mit der finalen Szene werden die Zuschauer*innen schließlich erlöst. Das von Andreas Jähnert konzipierte Bühnenbild wird komplett zerstört. Die im Raum versetzt aufgestellten Leinwände, auf die verschiedene Videoinstallationen von Claudia Virginia Dimoiu und Christoph Skofic projiziert werden, bilden die einzigen farbigen Akzentuierungen innerhalb der finsteren Inszenierung. Das Abreißen dieser Leinwände dient als symbolischer Akt, der unmissverständlich darauf hinweist, dass jegliches soziale Konstrukt und System zunichte gegangen ist.
Die heitere Stimmung, mit der die Zuschauer*innen den Saal anfangs betreten haben, ist erloschen. Nachdenklich verlassen sie den Saal.
Fazit: Eine kurzweilige und eher düstere Inszenierung, die zur Reflexion über die abgestumpfte und anteilnahmslose Gesellschaft einlädt, welche nicht auf das menschliche Gefühl, sondern zunehmend auf Stärke und Leistung setzt.