Theater Akzent /// 04. Juni 2019 /// Borborygmus
Hier wird Krieg ohne Pathos vermittelt, Verlust und Schrecken mit einem Lachen serviert, und am Ende bleiben viele Ängste dieselben, einen uns als Menschen. Ein Gefühl für eine Vergangenheit wird vermittelt, welche ohne großen Benennungspathos auskommt.
Das Bühnenbild glänzt durch seine Abwesenheit. In dem schwarzen Bühnenraum steht nur ein weißer Tisch in der Mitte, an ihm sitzen zwei Männer und zwischen ihnen eine Frau. Ihre Performance beginnt mit drei nacheinander in Gang gebrachten Metronomen, die immer schneller werdend die Geschwindigkeit dieser Aufführung vorgeben.
„Am Ende, nichts.“
Es beginnt mit der Aussicht auf das Ende. Wie sie dieses definieren, dürfen die Zuseher_innen für sich selbst entscheiden. Nach der sanften Aufwärmrunde durch die Metronome beginnt die erste Tour de Force. Mazen Kerbaj, Lina Majdalanie und Rabih Mroué tragen alle Merkmale der Menschheit vor. Der Zusammenhang, zeitlich wie räumlich, erschließt sich nicht sofort, aber ist es für die Geschichte wichtig, was wann wo passiert ist? Die vielen Formen der wiederkehrenden Gewalt, mit denen sich dieses Stück beschäftigt, finden sich in allen Ländern, jede Geschichte ist betroffen. Erst das Wort internieren erweckt einen Kontext zum Holocaust, der aber nur ein kleines Detail in diesem großen Ganzen ist.
In unserem Benennungswahn haben wir vergessen uns zu fragen: Wie nennt es sich selbst? Und ist es für das verlorene Menschenleben von Bedeutung, unter welchem Namen es sein Leben verliert? Die Performance hat sich inzwischen verortet und wir finden uns im Libanon wieder. Der Tod in Folge eines Attentats oder eines Massenmordes liegt noch in der unmittelbaren Vergangenheit, aber nicht nur. Krebs und Altersschwäche nehmen in der performativen Erinnerung den größeren Teil ein. Ein Land lässt sich nicht auf wenige Wörter reduzieren.
Was in Frage gestellt werden kann, zerlegen die drei Künstler_innen und übertreten die Komfortzone von so manchem. Mit „Ich habe Angst…“ erkennt jede_r eine bereits gedachte Möglichkeit der eigenen Zukunft. Der Text bleibt in seiner Tragik aber auch immer komisch, Übertreibungen werden gekonnt mit Wahrheit vermischt und begleiten uns auf dieser zeitenlosen Reise.
„Und sei bloß nicht gerecht oder weise.“
Wie den Nachruf, den so niemand halten wird, sprechen sie auch ein Gebet, das in dieser Form wohl niemand je beten wird. Alles wird möglich in der Kunst und in diesem Text. Am Ende kommen wir wieder in der textverdichteten Kindheit des literarischen Ichs an. Das Ende ist auch der Beginn von dem, was wir in uns weitertragen.
Fazit: Dieses Performance-Theaterstück nimmt seine Zuseher_innen mit in eine Lebensrealität, die viele von uns noch nie erfahren mussten. Meine empfundene Wahrheit hat sich mit dieser Aufführung neu geordnet.
BORBORYGMUS
Von und mit Mazen Kerbaj, Lina Majdalanie, Rabih Mroué
Licht, Ton, Technische Leitung Thomas Köppel
Licht Arno Truschinski
Übersetzung Ziad Nawfal (Englisch), Sandra Hetzl (Deutsch)
Übertitel Mayssan Charafeddine
Ein Auftragswerk von HAU Hebbel am Ufer (Berlin), Walker Art Center (Minneapolis)
Koproduktion Wiener Festwochen, Künstlerhaus Mousonturm (Frankfurt a.M.)
Gefördert im Rahmen des Bündnisses internationaler Produktionshäuser von der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien (Deutschland), Rosa-Luxemburg-Stiftung (Beirut).
Fotos: © Bobby Rogers.
Mehr Informationen hier: https://www.festwochen.at/programm/produktionen/detail/borborygmus/.