Akademietheater /// 17. Oktober 2019 /// Meister und Margarita
Der Kapitalismus ersetzt die Religion, aber am Ende hat noch immer der Teufel das Sagen. Der Versuch eines unterhaltsamen Lehrstückes, darüber warum nicht immer alles Schwarz oder Weiß ist.
Es traut sich wieder jemand an den Roman Der Meister und Margarita von Michail Bulgakow. Der Schriftsteller aus der ehemaligen UdSSR litt die letzten zehn Jahre seines Lebens stark unter dem Aufführungsverbot seiner Werke. In diesem seinem letzten Roman verarbeitet er nicht nur die Kritik, der seine Arbeit ausgesetzt war. Auch die Überwachungspraktiken der damaligen Zeit und Fragen der Religion sind zentrale Themen, wie auch seine Liebe zu seiner letzten Ehefrau Jelena, die vielen als Inspiration für Margarita gilt.
Das Religionsbedürfnis wird zu Beginn gleich stark angegriffen, Moses mit Hitler verglichen und während der Satz “Religion beleidigt die Menschenwürde” fällt, wischt eine allen im katholischen Kanon Erzogenen überaus bekannte Figur die Büroräume: Jesus. Blutüberströmt und mit Dornenkrone putzt er die Fenster des Bürokomplexes, der als Bühnenbild gleich Assoziationen an die Lehman Brothers weckt. Auch später sind die einprägsamten Bilder die, wenn der vom Blut noch tropfende Jesus den Gang kehrt, während alle anderen Schauspieler_innen zu Jesus‘ Blood Never Failed Me Yet singen.
Gekonnt verbinden die beiden Regisseur_innen jahrtausendalte Geschichts- und Religionsreferenzen mit aktuellen Themen der Gegenwart und bringen dies humorvoll auf die Bühne. Manch eine Szene ist zwar länger, als für das Verständnis benötigt wird, wer aber weiß, dass die kürzeste Version von Jesus‘ Blood Never Failed Me Yet 25 Minuten dauert, darf wohl dankbar sein.
Durch die vielen zu besetzenden Figuren kommt das ganze Ensemble ausführlich zu Wort, dabei ist das Gespräch zwischen Jesus, dargestellt von Tim Werths, und seinem Gegenspieler Pontius Pilatus, gespielt von Philipp Hauß, berührend wie in der Romanvorlage. Wir werden daran erinnert, dass die uns bekannte Geschichte nur die Version der Personen ist, die sie aufgeschrieben haben. Wahrheit ist, was wir aus ihr machen.
Bulgakow selbst hat in einem Brief geschrieben: “Dramatisierungen von Literatur sollen für alle Zeit verflucht sein!”, zum Glück liegt kein Fluch über dieser Aufführung. Eine Roman-Adaption ist immer ein Wagnis, so haben Ene-Liis Semper und Tiit Ojasoo erst gar nicht versucht, nahe am Roman zu bleiben. Das als gesellschaftliches Poem betitelte Stück in postdramatischer Theatermanier à la Frank Castorf ist eine bunte Collage aus Bulgakow-Texten, die mit Musical-Komik, Cowboy-Manier und Las Vegas Showgirl-Glitzer das Russland der 30er Jahre in das Amerika der 90er verwandelt. Eine Techno-Party wird zur überaus gelungenen Version der vielfach adaptierten Ballszene, die wohl noch nie so divers dargestellt wurde, wenn auch die klassische Rollenverteilung von nackten Frauen und anzugstragenden Herren aufrecht erhalten wurde.
Fazit: Eine geglückte Roman-Adaption, auch wenn die wunderbare Liebesgeschichte von dem Meister und Margarita hier mehr oder weniger gekillt wird, um es mit einem Anglizismus zu sagen.
MEISTER UND MARGARITA
Michail Bulgakow
Aus dem Russischen von Thomas Reschke
Ein gesellschaftliches Poem von Ene-Liis Semper und Tiit Ojasoo
Regie/Bühne/Kostüm/Video: Ene-Liis Semper, Tiit Ojasoo
Musik: Jakob Juhkam
Körperarbeit: Jüri Nael
Licht: Marcus Loran
Dramaturgie: Götz Leineweber
Mit: Norman Hacker, Felix Kammerer, Stefanie Dvorak, Rainer Galke, Annamaria Lang, Philipp Hauß, Marcel Heuperman, Tim Werths, Mehmet Atesçi, Johannes Zirner und Hanna Binder
Live-Kamera: Mariano Margarit/Lenard Fuchs
Fotos: © Matthias Horn.
Mehr Informationen hier: https://www.burgtheater.at/produktionen/meister-und-margarita