Volkstheater Wien /// 29. März 2019 /// Endstation Sehnsucht
Pinar Karabulut erfindet Tennessee Williams´ Stück mit viel Kitsch und schrillen Farben neu und lässt die Grenzen zwischen Realität und Einbildung verschwimmen.
Nachdem Blanche den Familiensitz verloren hat, muss sie bei ihrer Schwester Stella und deren Ehemann Stanley in New Orleans einziehen. Dabei stoßen die schimmernde Welt Blanches auf die rüde Direktheit der Arbeiterklasse. Als Stanley Blanches Vergangenheit aufdeckt, verfällt ihre mentale Stabilität immer mehr.
Schon zu Beginn der Aufführung sind die Zuschauer_innen mit Blanches Scheinwelt konfrontiert: Zuerst beschreibt sie vor zugezogenem Vorhang die elenden Wohnverhältnisse ihrer Schwester, die anschließend jedoch als ein quietschbuntes Bühnenbild mit sich kontrastierenden Farben und Mustern präsentiert werden. Auch bei den Kostümen ist der Kitsch präsent: Alle Darsteller_innen tragen bunte Farben, nur Blanche ist ganz in Weiß gekleidet. Im Laufe des Stückes stellt die Kleidung die Entwicklung der Persönlichkeiten dar: Blanches Outfits werden gemusterter und gehen ins Schwarze über, während Stanley seinen Mustermix ablegt. Dies könnte auf die Veränderung der mentalen Zustände der Figuren rückschließen: Während Blanche den Halt verliert, gewinnt Stanley Kontrolle über ihr Leben.
Die Stärke von Tennessee Williams´ Stücken sind seine vielschichtigen Charaktere. In der Inszenierung von Pinar Karabulut entwickelt sich Stanley zur rationalsten Person. Er trägt nicht die gleiche Brutalität in sich wie in anderen Inszenierungen, auch weil seine Vergewaltigung Blanches nur metaphorisch gezeigt wird und in der Handlung keine so wichtige Rolle einnimmt. Das ist jedoch nur einer der Mängel des dramaturgischen Verlaufs: Zu schnell werden die Konflikte aufgerollt, das Ende hingegen ist zu lange. in den letzten Szenen verstellt der exzessive Gebrauch an Symbolen den Blick auf die Handlung und die Botschaft. An anderen Stellen überzeugen Symbolen aber als lustige Details: zum Beispiel sind die Koffer voll eleganter Kleider Blanches nur Müllsäcke.
In dem Stück werden aktuell stark diskutierte Themen verarbeitet und in der Inszenierung am Volkstheater neu akzentuiert: Es geht um die finanzielle Abhängigkeit der Frau vom Mann, die Konsensdebatte und Gewalt in Beziehungen. Dabei wird jedoch die stereotypische Geschlechtsperformanz „Mann“ durchbrochen, wenn alle männliches Hauptfiguren High-Heels tragen und geschminkt sind. Sexualität wird durch Tiercharaktere dargestellt. Diese Szenen sind ein weiterer Beweis für die Verschlechterung des mentalen Zustandes Blanches, welcher auch durch sich wiederholende Dialoge, irritierende Hintergrundgeräusche und flackerndes Licht sichtbar wird. Dabei müssen die Zuschauer_innen selbst herausfinden, was die Wahrheit ist und aus welcher Perspektive erzählt wird.
Fazit: Eine quietschbunte Welt stellt das Elend Blanches´ Geist und der Arbeiterklasse New Orleans dar. Abgesehen von einigen dramaturgischen Fehlentscheidungen betreffend der Länge des Stückes gelingt es der Regie wichtige Themen sowie Rollenbilder zu verhandeln und trotz der schwierigen Thematik mit Dialogen und Symbolen für Humor zu sorgen.
ENDSTATION SEHNSUCHT
Regie Pınar Karabulut
Bühne Aleksandra Pavlović
Kostüme Johanna Stenzel
Musik Daniel Murena
Licht Paul Grilj
Video Leon Landsberg
Dramaturgie Michael Isenberg
mit Nils Hohenhövel (Mitch), Günter Franzmeier (Steve), Katharina Klar (Stella), Steffi Krautz (Blanche DuBois), Mario Schober (Ein Arzt), Birgit Stimmer (Mexikanerin/ Krankenschwester), Birgit Stöger (Eunice), Jan Thümer (Stanley Kowalski), Merlin Miglinci (Ein junger Kassierer), Alaedin Gamian (Pablo)
Fotos: © www.lupispuma.com
Mehr Informationen hier: http://www.volkstheater.at/stueck/endstation-sehnsucht/