Kampnagel Hamburg /// 30. Oktober – 1. November 2020 /// Burning Issues: Performing Equality
Pünktlich vor dem Lockdown fand vergangenes Wochenende “Burning Issues: Performing Equality” im Hamburger Produktionshaus Kampnagel statt, eine dreitägige Konferenz zu Geschlechtergerechtigkeit, Diversität und Inklusion am Theater.
Vor der offiziellen Eröffnung am Samstag fand am Vortag die “vertrauensvolle Eröffnung” statt: Ein Safespace für FLINT* (Frauen, Lesben, intersexuelle, nicht binäre und trans Personen), auch Verbündete aller Geschlechter, ebenso Cis-Männer, sind willkommen. 2018 war diese Eröffnung ausschließlich für Frauen* zugänglich, doch die Organisatorinnen haben dazugelernt und plädieren somit für mehr Solidarität. Unter dem Motto „You are not alone!“ gibt es auch den Marktplatz der Möglichkeiten, einen Ort zur Vernetzung mit verschiedenen politisch aktiven Verbänden und Interessensgemeinschaften, die ein gemeinsames Ziel verflogen: Strukturwandel.
Burning Issues wurde 2018 von Lisa Jopt und Nicola Bramkamp ins Leben gerufen, um Künstler*innen zusammenzubringen, mit der Forderung nach einer gerechteren, diverseren und inklusiveren Theaterlandschaft. Im Rahmen eines unter den erschwerten Corona-Bedingungen kuratierten Programms von Diskussionen, Vorträgen, Vernetzungsräumen, Performances und Interventionen wurden hierarchische und diskriminierende Strukturen auf und hinter der Bühne an Theaterhäusern aufgezeigt, kritisiert und die Dekonstruktion dieser gefordert.
Expert*innen wurden eingeladen, um über ihre Diskriminierungserfahrungen zu sprechen, Problematiken aufzuzeigen und folgende Fragen zu behandeln: Wie viele Geschlechter kennt das Theater eigentlich? Welche Rolle spielen Faktoren wie Klasse oder Alter im Laufe einer Theaterkarriere? Wie überschneiden sich struktureller Rassismus und Sexismus im Kulturbetrieb? Wie können Institutionen Barrieren abbauen und solidarisch agieren?
Intersektionalität als Modewort
Dr. Natasha A. Kelly, eine wichtige Stimme des Schwarzen intersektionalen Feminismus, problematisiert in ihrem Film “Millis Erwachen” (2018) und vor allem in ihrem Vortrag “Wie kann weißer Feminismus Teil der intersektionalen Debatte werden?” die Tendenz “Intersektionalität” als Modeerscheinung und Marketing-Strategie zu missbrauchen. Intersektionalität, die Verschränkung verschiedener Diskriminierungsformen, war und ist schon immer das Leitmotiv des Schwarzen Feminismus. Weiße Feminist*innen haben intersektionales Denken jedoch von seinem Entstehungskontext abgekoppelt und für ihre eigenen Interessen instrumentalisiert. Denn im Gegensatz zu Schwarzen Feminist*innen haben Weiße Feminist*innen die Wahl intersektional zu denken. Kelly fordert, dass Weiße Menschen ihre rassistischen Handlungen selbst als ein Problem der Weißen Vorherrschaft (an)erkennen ohne sich dabei auf die Schulter zu klopfen.
Laut Kelly geht es im Theaterkontext nicht darum Intersektionalität zu performen (wie man vielleicht aus dem Titel der Konferenz “Burning Issues: Performing Equality” schließen mag), sondern darum, Intersektionalität zu denken (nicht nur “mitzudenken”), den männlichen und heteronormativen Blick zu stören, indem queere Perspektiven in die Entscheidungsfindung eingebunden und weibliche* Charaktere aus ihrer Objektrolle befreit werden.
Auch Benita Bailey (eine Afro-Deutsche Schaupielerin), die aus Toronto, ihr selbstbezeichnetes Exil, per Zoom zugeschaltet wird, äußert sich zur Komplexität von Diskriminierung(en). Sie ruft dazu auf, diesen erneuten Lockdown, diese zweite Zäsur, zu nutzen, um Theater, dessen Strukturierung und Narrative zu überdenken. Man* soll sich nicht scheuen, die Unterbrechung des Spielbetriebs zuzulassen, Theater neu zu programmieren, zu dekolonialisieren und andere Geschichten erfahrbar zu machen und zwar mit Dringlichkeit.
Young Burning Issues
Auch der Nachwuchs, der vor allem durch das “Young Burning Issues” Programm stark vertreten ist, steht im Fokus. Auf einer Seitenbühne wird ein Programm von Bühnenbildstudierenden der Hochschule für Bildende Künste Hamburg und Kostümbildstudierenden der HAW Hamburg kuratiert, die auch für die Raumgestaltung der Burning Issues verantwortlich waren. Bei der eindrücklichen Raumgestaltung wurde ein spielerischer und ästhetischer Umgang mit den Abstandsregelungen gefunden. Das Programm öffnet einen neuen Raum für die burning issues der Nachwuchsgeneration, wie beispielsweise den Umgang mit psychischen Erkrankungen am Theater, das Hinterfragen von Männlichkeit(en) und Rollenzuschreibungen und des Narrativs des männlichen Regisseurs als Genie und Trophäe von Theaterhäusern.
Zudem werden auf der Hauptbühne im Rahmen des Programmpunkts “Teaching Arts and Equality” auch die Aufnahmeverfahren, strukturelle Diskriminierungen und fehlende Inklusion an den Hochschulen im deutschsprachigen Raum diskutiert. Dazu äußern sich Jana Zöll (Performerin), Amelie Niermeyer (Mozarteum Salzburg), Salome Kiessling (Schauspielstudentin am Mozarteum) und Sarah Elisabeth Braun (Regieassistentin, angehende Regisseurin und Initiatorin des BIPoC-Netzwerks). Das Mozarteum Salzburg wird dabei als Best-Practice- Beispiel für eine diverse Besetzung vorgestellt. Etwas realitätsfern äußert sich Niermeyer zur offensichtlich privilegierten Situation ihrer Student*innen und negiert somit den im System verankerten Klassismus.
Fehlende Intersektionalität?
Einen Tag nach der Konferenz kritisierte die Initiative für Solidarität am Theater (ISaT) die Burning Issues dahingehend, dass Solidarität bloß als Werbeslogan benutzt und nicht als kontinuierliche Praxis umgesetzt werde. Mit dieser Kritik teilte die ISat ein Statement der Berliner Theaterschaffenden Noa Winter, die das Nicht-Denken von behinderten Feminist*innen in der Gestaltung und Zugänglichkeit der Konferenz scharf kritisiert und auf den strukturellen Ableismus im Theater, als auch in der Gesellschaft verweist und Gleichberechtigung und Inklusion fordert. Diese Forderung eröffnet die Debatte über eine Hierarchisierung von Diskriminierungskategorien. Offensichtlich werden manche Formen der Diskriminierung und marginalisierte Perspektiven in den Hintergrund gedrängt.
Fazit: Burning Issues – eine sehr wichtige Veranstaltung für die Theaterwelt, die zum Nachdenken, Handeln, Aufstehen, Kritisieren, Fordern, Zusammenkommen, Verbünden und Solidarisieren anregt. Doch die Konferenz ist auch zum Scheitern verurteilt: Alle Sichtweisen/ Lebensrealitäten/Perspektiven miteinzuschließen ist ein langer Weg und Lernprozess, der gesamtgesellschaftlich stattfinden muss und ein permanentes Um – und Neudenken, gemeinsames Reflektieren und Austauschen fordert.
Burning Issues ist ein Projekt des ensemble-netzwerks in Kooperation mit Kampnagel Hamburg und in Zusammenarbeit mit der HFMT Hamburg und der HFBK Hamburg.