Cloître des Carmes – Festival d’Avignon /// 24. Juli 2019 /// Granma. Les Trombones de la Havane
Es ist 22 Uhr in Avignon, die Hitze ist immer noch überwältigend. Schweißperlen rinnen mir die Haut hinunter, als ich mich auf den Weg durch die verwinkelten Gässchen der Altstadt zur Cloître des Carmes mache. Über den Vorhof des ehemaligen Klostergebäudes schlängelt sich eine überlange Reihe an wartenden Zuschauer_innen. Abseits des Trubels und Gewusels von Performer_innen und Straßenkünstler_innen, die Festivalbesucher_innen für das Zusehen ihrer Aufführung animieren versuchen, findet in den historischen Mauern der Cloître des Carmes unter freiem Nachthimmel GRANMA*. LES TROMBONES DE LA HAVANE (Granma. Posaunen von Havanna) statt.
Die Produktion des postmodernen Theaterkollektivs „Rimini Protokoll“ nimmt die Zuschauer_innen auf eine Zeitreise in das Jahr 1960 in Kuba mit – der Projektionsraum für Utopist_innen und Revolutionär_innen. Es sind vier Kubaner_innen der jungen Generation, die als Laiendarsteller_innen, gleichzeitig als Expert_innen ihrer eigenen Geschichte auf der Bühne auftreten. Parallel dazu werden Interviews mit den Großeltern der Darsteller_innen – Zeitzeug_innen der historischen/ gesellschaftlichen Wandlung Kubas – via Videoprojektion eingeblendet.
Die Koexistenz von zwei Generationen verspricht einen protokollartigen Bericht über die Ursachen und Auswirkung der Revolution: Private Familiengeschichten verflechten sich mit gesellschaftspolitischen Fragen und stellen eine kubanische Gegenwart dar – eine Generation, die in sich in einem Umbruch, von Resignation zu Revolution, befindet. Das Einbeziehen von Fotografien und filmischen Material schafft einen sachlichen und objektiven Stil, der unbeschönigt kolonialen Strukturen, diktatorische Verhältnisse und wirtschaftliche Krisen Kubas darstellt.
Besonders spannend ist der vielschichtige Einsatz von Posaunen: Im Rahmen der Proben erlernten die Darsteller_innen mit der Musikerin Diana Sainz Mena (im Stück auch Darstellerin) das Spielen des Blasinstrumentes. Die Posaunen dienen nicht nur zur musikalischen Begleitung, sie nehmen vielmehr eine dramaturgische Funktion ein, indem sie mit ihrem Spiel und ihrer symbolischen-revolutionären Ausdruck neue Zeitabschnitte und historische Momente einleiten.
Fazit: Eine spannende Produktion in einem außergewöhnlichen Setting in der französischen Provence, die den_die Zuschauer_in auf eine Reise in die Vergangenheit und die Gegenwart Kubas mitnimmt und ihn_sie zum_zur Beobachter_in einer Nation werden lässt, die sich die Revolution zum Lebensziel macht.
*Granma ist eine politische Tageszeitung in Kuba, die als Zentralorgan der Kommunistischen Partei Kubas instrumentalisiert wird. Benannt wurde die Zeitung nach der Yacht „Granma“, mit welcher 1956 Fidel Castro und Che Guevara in Kuba landeten.
Mit Milagro Álvarez Leliebre, Daniel Cruces-Pérez, Christian Paneque Moreda, Diana Sainz Mena
Regie und Konzeption: Stefan Kaegi
Dramaturgie: Aljoscha Begrich, Yohayna Hernández
Video: Mikko Gaestel
Musik: Ari Benjamin Meyers
Sound: Aaron Ghantus, Tito Toblerone
Kostüme: Julia Casabona
Bildrechte: (c) Christophe Raynaud de Lage