Kosmos Theater /// 30. Oktober 2018 /// Mütter
Mütter, die erste Eigenproduktion des Kosmos Theaters in der Spielzeit 2018/19, entstand als Stückentwicklung in der Zusammenarbeit der Regisseurin Milena Michalek mit dem Ensemble. Man nähert sich in diesem Stück mit breiter Aufstellung dem Mythos der Mutterschaft und der Emotion, die mir in dieser Auseinandersetzung am wichtigsten erschien – der Unsicherheit.
Die Schauspielerinnen liegen auf einer Mischung aus Decken, Polstern und Daunenparkas – wohl die kuschligste Bühnenausstattung, die ich je gesehen habe. Nach dem Einstieg, der aus einer kunterbunten Sammlung an anekdotischen Einzeilern besteht und davon handelt, wie die eigene Mutter (nicht) ist und was sie (nicht) tut, folgt ein Abschnitt in dem die Schauspielerinnen „Deine Mutter“-Witze reißen – Waren die nicht vor fünf, sechs Jahren ein Ding? Ich fand das irritierend, vielleicht lag’s aber nur an mir. Im Anschluss entfaltet sich das Stück.
Wenn es eine Gefühlslage gibt, die sich in der kosmisch-theatralen Studie des Mütter-Mythos eingeschrieben hat, dann ist es die Verunsicherung der betroffenen Frauen; Die Fragen, auf die in diesem Stück im besten Fall Halbantworten gegeben werden, werden immer wieder ausgehend von dieser Gefühlslage gestellt:
- Wie steht man zu seiner Mutter? Gut, schlecht, geht so? Ist alles außer „gut“ überhaupt eine Option, wenn man doch weiß, dass sie auch „nur“ ein Mensch ist, und sollte man ihr vielleicht ihre Fehler verzeihen?
- Wann ist man selbst bereit, Mutter zu werden? Wie weiß man dass man „fertig“ ist mit seiner eigenen Entwicklung? … Ist man denn je „fertig“?
- Was macht Mutterschaft mit einem? Was darf man von sich selbst erwarten? Was sollte sie mit einem machen (und was nicht)?
- Wieso kritisieren sich Mütter in ihrem Tun und verunsichern sich so gegenseitig, anstatt andere Herangehensweisen zu akzeptieren und sich gegenseitig den Rücken zu stärken?
- Wie verhält man sich dann zu seinem Kind? Wie ist man eine „gute“ Mutter?
Dem Mythos „Mütter“ kann man sich nicht in einem Vakuum nähern: Wo Mütter sind, da sind auch Väter, Geschlechterrollen, Schönheitsideale, Menopausen, Kinder – und, und, und. Und jeder einzelne Themenbereich ist so groß, dass man ihm einen eigenen Theaterabend widmen könnte. Das Stück schafft es aber trotz gelegentlicher längerer Exkurse immer wieder zurück zu seinem Thema zu finden und dieses im Fokus zu behalten.
Die einzelnen Themenbereiche werden in distinkten Szenen besprochen, die in einer (mir) wahllos erscheinenden Reihenfolge montiert sind: Der thematische Sprung von dem imaginierten Begräbnis des eigenen Kindes zu der tatsächlichen Anzahl der Nervenenden in der Klitoris erschließt sich mir nicht. Ich könnte mir vorstellen, dass diese Montage dazu beitragen könnte, dass man als Zuschauer*in die einzelnen Teilbereiche in sich geschlossener wahrnimmt. Bei einigen Szenen sollte man als Zuschauer*in Kenntnis von aktuelleren feministischen Vokabeln und Diskussionen haben, um dem Bühnengeschehen folgen zu können.
Mütter ist überwiegend komisch, denn man verhält sich gegenüber den aufgezeigten Unsicherheiten ironisch und augenzwinkernd; Etwa führt Alice Peterhans in einem kleineren hitzig vorgetragenen Monolog aus, dass es scheinbar nur zwei Wege im modernen Leben einer Frau gäbe: Karriere oder Kinder machen. Und als sie dann ratlos und beinahe hysterisch fragt: „Und wenn ich beides nicht mach‘, was mach‘ ich dann?“, dreht sich Claudia Kainberger, die ganz hinten auf der Bühne steht, kurz um und antwortet knapp: „Chill’n.“ Vielleicht meine Lieblingsstelle im Stück. Insgesamt bedient sich das Stück immer wieder englischer (Schimpf-)Wörter, die sich vermehrt in die Umgangssprache der jungen Österreicher*innen einschleust.
Das Ende des Stücks hat mich etwas aus der Bahn geworfen; Während circa drei Viertel des Stücks komischer Natur waren, endet das Stück plötzlich mit einem sehr ernsten (so zart und bewegend vorgetragenen) Monolog von Kainberger. Ich hätte diese Stelle nicht missen wollen – doch hätte das Stück nur eine Szene früher geendet, wäre ich mit einem Grinsen aus dem Saal gegangen, statt betrübt und nachdenklich den Heimweg anzutreten.
Ein Element der Inszenierung möchte ich im Abschluss noch hervorheben: Ich fand den Einsatz des Bühnenlichts toll. Es hat die kahle, weiße Bühne einerseits in stimmungsvolle Farben getaucht und Akzente gesetzt, andererseits ließ es sich auch mal in den Hintergrund fallen und war wieder zurückhaltender.
Meine Conclusio lautet irgendwie so: Mütter war ein überwiegend lustiger, teilweise auch traurig-nachdenklicher Abend, der toll gespielt und ausgeleuchtet war. Mütter hat mir kaum Antworten gegeben, auf die Fragen, die es selbst gestellt hat – Es sind jedoch Fragen, die ich mir in nächster Zeit sehr gerne durch den Kopf gehen lassen werde. Vielleicht werde ich zu dem Schluss kommen, dass es keine eindeutigen Antworten gibt – und vielleicht war auch genau das die Message des Stücks: Auf die schwierigen Fragen des Lebens gibt es keine einfachen Antworten.
… Wem mach‘ ich hier was vor? Natürlich schau‘ ich mir das Stück nochmal mit meiner Mutter an und die Mama wird’s schon wissen.
TL, DR: Der Mythos Mutterschaft wird in Mütter vielseitig beleuchtet. Es werden viele Fragen gestellt, aber kaum Antworten gegeben, weshalb man nach dem vergnüglichen Abend Denkstoff für die nächste Zeit zu genüge haben sollte.
MÜTTER
Regie: Milena Michalek
Text: Milena Michalek und Ensemble
Künstlerische Mitarbeit: Paula Thielecke
Bühne und Kostüm: Selina Traun und Mima Schwahn
Regieassistenz: Olivér Illés
Maske und Ausstattungshospitanz: Alma de Ganay
Schauspiel: Claudia Kainberger, Anna Kramer, Alice Peterhans sowie Daniel Jocic, Karim Taelab, Marwan Taelab, Tarek Taelab
Bildrechte: (c) Bettina Frenzel