Volkstheater Wien /// 27. November 2019 /// Wer hat meinen Vater umgebracht
Édouard Louis erzählt in seinem dritten Roman von seinem Vater und dessen Ohnmacht in einem Gesellschaftsgefüge, das ihn nur verlieren lässt. Eine Inszenierung am Volkstheater, die sehr nahe geht und die Fragen nach Ungleichheit, Männlichkeit und struktureller Gewalt stellt.
„Wer hat meinen Vater umgebracht“ ist der dritte autobiografische Roman des französischen Autors Édouard Louis. „Das Ende von Eddy“ und „Im Herzen der Gewalt“ folgt eine Hommage an seinen Vater. In Frankreich und Deutschland längst bekannt, finden nun auch auf Wiener Bühnen (Schauspielhaus: Im Herzen der Gewalt & Volkstheater) Louis‘ geniale Werke Anklang.
Fünf Schauspieler*innen in blauen Arbeitsanzügen und blauen Helmen stehen um den laschen Körper einer überdimensionalen Puppe, ebenfalls in Arbeitsmontur. Sie werfen sich Blumenkränze zu, wie bei der Fließbandarbeit. Im Hintergrund werden drei Kränze mit bunten Schleifen in die Höhe gezogen. Die Farben der Schleifen: Blau, Weiß, Rot. Auf der Bühne des Volkstheaters wird um das Leben Édouards Vaters getrauert. Die Mörder sind auch da: Frankreichs Elite, Hollande, Sarkozy, Chirac, Macron.
Édouards Vater ist allerdings nicht tot. Sein Körper lebt noch. Die Maschinen, die er braucht um sein Herz am Leben zu halten, sind teuer; die Behandlungen für seine kaputte Wirbelsäule auch. Das Leben besteht für ihn nur aus birth/school/work/death. Zu Wort auf der Bühne kommt er nicht: Im Theater eine mundlose Puppe, ist der Vater in der Realität ungehört und unsichtbar.
Christina Fast (Regie) setzt die autobiographischen Elemente des Werks gekonnt ein. Reality-TV und eine Gesprächsshow mit Édouard Louis über die Gillets Jaunes zeigen nicht nur, dass der Autor das Geschriebene selbst erlebt hat. Der Perspektivenwechsel verdeutlicht die Aktualität der Gesellschaftskritik, die Édouard Louis übt: Für reiche Menschen ist Politik nur Formsache oder eine Frage der Ästhetik. Für Mittelose bestimmen politische Entscheidungen was auf den Teller kommt, und in welcher Form es wieder in die Kloschlüssel geht. Den Herrschenden bereitet keine Regierung jemals Verdauungsprobleme. Für Édouards Vater ist es eine Frage von Leben oder Tod.
Édouard Louis stellt mit „Wer hat meinen Vater umgebracht“ nicht die offensichtliche Frage. Die Frage, die er stellt, ist eine Systemfrage. Er hinterfragt eine Gesellschaft, die seinen Vater in Scham und Angst zurücklässt.
Fazit: Christina Fast und ihr Team bringen eine berührende Dramatisierung des Romans auf die Bühne, die die Komplexität einer Vater-Sohn Beziehung im Kräftespiel zwischen Herkunft und Klassenzugehörigkeit greifbar macht.
WER HAT MEINEN VATER UMGEBRACHT
nach dem Buch von Édouard Louis mit Motiven aus Das Ende von Eddy von Édouard Louis
Deutsch von Hinrich Schmidt-Henkel
Regie: Christina Rast | Bühne: Franziska Rast | Kostüme: Sarah Borchardt | Musik: Felix Müller-Wrobel | Schauspiel: Peter Fasching, Sebastian Klein, Julia Kreusch, Sebastian Pass, Birgit Stöger | Dramaturgie: Heike Müller-Merten
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Fotos: © www.lupispuma.com / Volkstheater