Theater Nestroyhof/Hamakom /// 08. Oktober 2019 /// Der letzte Mensch
Der Klimawandel stellt in Philipp Weiss’ Der letzte Mensch den thematischen Ausgangspunkt dar, von dem aus sich der Text an einer Vielzahl großer Problematiken der Gegenwart abarbeitet. Untermalt werden die klaren textlichen Ab- und Ansagen durch die kühle Inszenierung von Ingrid Lang.
Liv van der Meer ist die Hauptfigur und der einzige Charakter, der auf der Bühne in Erscheinung tritt. Sie wird abwechselnd von Ana Grigalashvili, Daria Ivanova und Theresa Martini gespielt. Liv durchlebt drei Zukunftsvisionen:
- In einer Dystopie ist die Erde „erfolgreich“ von den Menschen zerstört worden und Liv treibt auf einem Floß im Meer herum, ganz alleine.
- In einem Weltraum-Szenario schwebt eine bionisch-augmentierte Liv in einem Raumschiff umher, denn die moderne Wissenschaft hat den Tod abgeschafft und aufgrund des zunehmenden Platzmangels wird das All bevölkert.
- In der Utopie hat die Menschheit den Kollaps der Erde abgewandt. Ausgangspunkt dafür war der Zusammenschluss von einigen kleineren Ländern. Liv ist ein Mischwesen aus Mensch, Krake, Koralle und Maschine und tritt als Vermittlerin zwischen den verschiedenen Lebewesen auf.
Auffallend ist, weiblicher Hauptcharakter hin oder her, dass Schlüsselfiguren innerhalb der Geschichte vorrangig an Männer gehen: In der Dystopie waren es Politiker und Firmenbosse, die die Welt vernichteten. Im Weltraum-Szenario verändert der Android, in den sich Liv verliebt, ihre Sicht auf das Leben. In der Utopie ist es der Tod ihres Mannes, nachdem sie sich der Natur zuwendet, um ihre Trauer zu verarbeiten.
Der Klimawandel und seine Folgen stehen im Zentrum des Stücks, von dem ausgehend die Auslöser dieser drohenden Umweltkatastrophe beleuchtet werden: Kapitalismus, Effizienz- und Größenwahn, die Egozentrik der Menschheit, … Auch immer wichtiger werdende Fragen im Zwischenspiel Mensch/Maschine werden aufgeworfen: Kann ein Roboter menschlich sein? Und – wenn man sich Bionik vor Augen hält – ab wann ist ein Mensch ein Roboter? Obwohl speziell am Schluss langatmig geht der Abend auf, wohl auch weil die besprochenen Problematiken ineinander übergreifen und Weiss diesen Verbindungen in seinem Text folgt.
Ingrid Lang inszeniert Livs Lebensgeschichten eisig kalt: Kühles Licht, monochrome beige Kleider, das Bühnenbild ist durch und durch schwarz. Die fast sterile, kitschbefreite Ausstattung unterstreicht die klaren Worte der Schauspielerinnen in ihrer Eindringlichkeit. Aber so kristallklar wie Weiss‘ Argumentationsketten rüberkommen, so unterkühlt wird Liv präsentiert. Sie müsste – das klingt auf textlicher Ebene immer wieder durch – keine unnahbare Figur sein und doch ist sie es in dieser Inszenierung. Es stellt sich die Frage, ob zur Aktivierung des Publikums nicht etwas Wärme, etwas Gefühl, gut gewesen wäre.
Bei der Inszenierung imponiert, neben eindrucksvollen Projektionen, vor allem ein großer Spiegel mit seiner Wirkung im Bühnengeschehen. Er ist schräg an der Decke montiert und über einer Liegefläche situiert. Zunächst ermöglicht er eine zweite Perspektive: Als Ana Grigalashvili mit dem Rücken zum Publikum liegt, sieht man sie doch auch von vorne. Später, während des Weltraumszenarios, legt sich Grigalashvili auf den Rücken und reckt dabei ihre Arme und Beine der Decke entgegen. Durch den Blick in den Spiegel entsteht der Eindruck, als wäre sie schwerelos. Ana Grigalashvili Körperbeherrschung erscheint mir hervorhebenswert. Ich bin noch immer beeindruckt davon, wie gezielt und kontrolliert sie selbst kleinste Zuckungen und Bewegungen ausgeführt hat.
Nach dem Ende des Stücks ist man, offen gestanden, erschöpft. Zwei Stunden lang hat man einer Abhandlung darüber gelauscht, was alles im Moment falsch läuft und mögliche Konsequenzen dessen gesehen. Aber schließlich sickert doch die Bedeutung des Endes durch. Die Utopie zeigt: Es braucht vielleicht gar nicht so viel, ein paar Mutige könnten reichen, um das Klima zu retten.
Fazit: Ingrid Langs Inszenierung von Der letzte Mensch erzählt in kühlem Ton von drei möglichen Zukunftsszenarien. Das Stück beeindruckt durch inszenatorische Mittel und die Abhandlungen großer Problemherde der Gegenwart. Schlussendlich verlässt man ermattet das Theater Nestroyhof/Hamakom, aber sieht, idealerweise, auch den Hoffnungsschimmer.