Anlässlich der Neubesetzung des Wiener Volkstheaters hat Neue Wiener Theaterkritik neun Führungspersonen kleiner, mittlerer und ganz großer Bühnen Wiens zum YouTube-Interview über Machtstrukturen, Mitbestimmung und die besondere Verantwortung von Leiter_innen künstlerischer Betriebe getroffen. Eine Video-Interview-Reihe aus dem TAG, der Wiener Staatsoper, dem Dschungel Wien, dem Volkstheater, dem brut, dem Wiener Konzerthaus, dem Theater Drachengasse, dem Kosmos Theater und – der Bundestheater Holding.
-> Hier geht’s zu den neun Video-Interviews.
Die Intendanz der zweitgrößten Theaterbühne Wiens ist derzeit neu ausgeschrieben. Für das Volkstheater wird eine „Persönlichkeit“ oder ein „Kollektiv“ gesucht, die respektive das „mit unverwechselbarer Handschrift“ und „geeigneter künstlerischer und organisatorischer Leitungserfahrung“ die rund 200 Angestellten des Betriebes führt. Bereit gestellt wird ein Budget von jährlich 15 Millionen Euro.
Die Frage nach der Intendanz stellt sich auch in Köln und Berlin.
Aktuell stellen sich auch Köln und Berlin die sogenannte „Intendantenfrage“. Innerhalb weniger Wochen zog Carl Philip von Maldeghem, derzeit Intendant am Landestheater Salzburg, seine Bewerbung für die Leitung des Kölner Theaters zurück. Warum? Bekannte und unbekannte Theaterkritiker_innen, Intellektuelle und überregionale Medien waren auf die Barrikaden gestiegen. Margarete Affenzeller hat im Standard die Geschichte hervorragend zusammengefasst. In Berlin entwickelt sich gleichzeitig die Frage nach der Nachfolge von Frank Castorf an der Volksbühne zu einer immer peinlicheren Angelegenheit. Interims-Chef Klaus Dörr bleibt nun mal bis 2020. Danach schauma weiter, hat man sich im Berliner Kultursenat wohl gedacht.
Die „Trümmerfrauen“-These
Wenn in Wien nun noch dieses Jahr Martin Kušej an die Spitze des Burgtheaters wechselt, scheint die „Trümmerfrauen“-These schlagkräftig zu werden. Frauen leiten wenig und wenn, dann ressourcenschwache, unsichere Betriebe. Außer es baut jemand richtig Mist, dann darf eine Frau zum Sanieren der großen Häuser ran. So ähnlich drückte es Karin Bergmann unlängst in einem Interview auf Ö1 aus und konkret so geistert die Ungleichstellung zwischen männlicher und weiblicher* Leitung durch die Hinterzimmer.
Neue Macht am Theater?
Doch immer lauter werden die Stimmen, die Gleichberechtigung, Mitbestimmung und eine Überarbeitung der Machtstrukturen im Kunst- und Kulturbereich fordern. Anlässlich der Ausschreibung des Volkstheaters haben wir uns gefragt: Was bedeutet eigentlich ‚Führung‘ im Kunst- und Kulturbereich? Wie leitet man ein Theater, eine Oper, ein Konzerthaus? Welche Formen von Mitbestimmung gibt es hinter den (gar nicht so) verschlossenen Türen, an die niemand denkt, der_die abends Teil des meist passiven Publikums ist?
Tendenzen im Wiener Club der Intendant_innen
Folgende Tendenzen haben wir eruiert, aber wir freuen uns auf eure Kommentare! Schreibt uns gern auf YouTube direkt unter die Videos, was euch beim Ansehen durch den Kopf geht.
Brechen wir die Jahrhunderte alte Mauer nieder, die die sogenannte „Wiener Hochkultur“ umgibt. Kommen wir miteinander ins Gespräch über die Kunst- und Kulturbetriebe, die für uns alle offen sind – oder sein sollten.
- Die Definition von „Führung“ ist so individuell wie die Person, die führt.
- Frauen führen tendenziell kleine, ressourcenschwache Betriebe.
- Die Besonderheit an der Leitung künstlerischer Betriebe liegt in der Herstellung eines „angstfreien Raums“ (A. Badora), in der Verantwortung „Selbstausbeutung zu bremsen“ (V. Steinböck) und in der Spannungslage, das bestmögliche künstlerische Ergebnis im vorgegebenen wirtschaftlichen Rahmen zu erzielen (C. Kircher).
- Große Bühnen tragen die Verantwortung „Brücken zu bauen und nicht zu stark zu polarisieren“ (M. Naske).
- Kleine Bühnen wünschen sich von der Politik mehr „Planungssicherheit“ (K. Schurich, B. Platzgummer, K. Kirsch und V. Steinböck) sowie von der Wien Tourismus und den Medien größere Sichtbarkeit zeitgenössischer, dramatischer Kunst.
- Letzten Endes entscheidet nicht die Intendanz eines Hauses, sondern der Eigentümer (C. Kircher).
- Der Begriff „Führung“ verändert sich derzeit stark (M. Naske, K. Schurich und B. Platzgummer).
- Im Musikbereich ist starkes wirtschaftliches Wissen evident. (D. Meyer, M. Naske).
- Im Theaterbereich tritt hohes Bewusstsein für die Sprache über Macht sowie die sozialen Implikationen von Führungsbegriffen auf (V. Steinböck, G. Plass).
In den kommenden Wochen werden wir uns in einzelnen Blog-Beiträgen dem Material widmen. Dabei werden wir natürlich die großen Unterschiede hinsichtlich verfügbarer Verwaltungsressourcen, persönlicher Einkommen der Führungskräfte, Planungssicherheit und Presseresonanz berücksichtigen. Wir hoffen, dass wir damit ein Gespräch über „Führung von Kunst- und Kulturbetrieben“ anstoßen können.
Ein herzliches & großes Danke gilt meinen Interviewpartner_innen: Anna Badora, Matthias Naske, Christian Kircher, Katrin Schurich und Beate Platzgummer, Kira Kirsch, Corinne Eckenstein, Veronika Steinböck, Dominique Meyer und Gernot Plass.