Kosmostheater /// 10. September 2020 /// Spielzeiteröffnung: Stay with the trouble!
Die Spielzeiteröffnung des Kosmos Theater verspricht und hält viel: Lesung mit Lady Bitch Ray und anschließend Konzert des Geschwisterduos EsRAP. Über die Kommerzialisierung feministischer Inhalte, Diskriminierung in Hip-Hop und Wissenschaft und differenzierte Diskurse um das Kopftuch.
Reyhan Şahin aka Dr. oder Lady Bitch Ray ist Rapperin, aktivistische Feministin, Wissenschaftlerin und Autorin. Sie beeindruckt die Zuhörer*innen mit Gehirn („Lass Hirn regnen“, so Şahin in der Lesung), Sprache und Schlagfertigkeit. In einem legeren Lesungsgespräch stellen Mercan Sümbültepe und Noor Soliman von “Sorority” Fragen zu Lady Bitch Rays neuestem Buch “Yalla, Feminismus” und die Autorin liest daraus Passagen zu Diskriminierung in Hip-Hop und in Wissenschaft. Dabei verbindet sie persönliche Erfahrungen mit feministischer Theorie und erntet dafür Masken-gedämmte Jubelschreie aus dem Publikum.
Wer hat das Recht zu welchem Thema zu sprechen? Welche Stimmen dringen zu uns durch? Dr.in Ray macht klar: Frau* muss keinen Erfahrungshintergrund haben, um ihre Stimme zu einem Thema zu erheben. Wichtig ist aber, dass sie über Wissen dazu verfügt. Feminist*innen der Zweiten Welle wie Alice Schwarzer dominieren etwa den Kopftuch-Diskurs, und basieren ihre Aussagen auf einigen wenigen Besuchen in Saudi-Arabien oder im Iran. Zwischen Extremen, im populistisch geführten Diskurs, verlangt Lady Bitch Ray eine differenzierte Debatte , die unterschiedliche Perspektiven zulässt. Hier wünscht sie sich eine reflektierte Auseinandersetzung der an der Debatte beteiligten Personen, in den so passenden Worten, „lass‘ Hirn regnen“. Denn ja, das Kopftuch kann Zeichen eines patriarchalen Systems sein. Aber auch nicht. Und ich, die hier schreibe, habe keinenfalls das Wissen, diese Debatte hier zu führen. (Tipp für die Morgenroutine: Check your own privileges).
Reyhan Şahin überzeugt mit ihrer theoretischen Fundierung, ihrem Auftreten, ihrem Witz. Zum Glück gibt es ihre Stimme: Denn Frauen, die mit Feminismus heute Geld machen sind immer noch weiß. Und feministische, intersektionale Inhalte werden kommerzialisiert, seit auch Männer* bemerkt haben, dass Gleichberechtigung “in” ist. Und ist nun Hip Hop sexistischer ist als andere Genres? Zumindest bedienen sich sowohl Rapper mit (Bushido) als auch ohne (Yung Hurn) Migrationshintergrund (“Migrationsdefizit”, so Şahin) frauenverachtender Bilder. Dieser Kritik am bestehenden Rassismus, Sexismus, und Klassismus schließen sich EsRAP an und zeigen in ihrem Auftritt, wie Rap in diesem starren Herrschaftssystem auch Widerstand leisten kann.
Fazit: Eindeutig ein Abend, an dem es eine Menge Gehirn geregnet hat.