Volkstheater /// 22. September 2019 /// Nur Pferden gibt man den Gnadenschuss
Miloš Lolić stellt in „Nur Pferden gibt man den Gnadenschuss“ nicht nur den kräfteraubenden Tanzwettbewerb als Pendant zum Überlebenskampf des Volkstheaters diesem gegenüber, sondern hebt den Abend auf die Ebene der Vergnügungsindustrie-Kritik.
Die Basis ist ein Tanzwettbewerb, der die Teilnehmer_innen an die Grenzen ihrer physischen und psychischen Substanz bringt: getanzt wird in der Roten Bar, was per Live-Kamera auf die Bühne übertragen wird. Die Hauptbühne ist der Pausen-Aufenthaltsraum und zugleich der Showroom, wo Stücke aus der Vergangenheit des Volkstheaters als Zusatzaufgaben gezeigt werden.
Bereits zu Beginn wird klar, dass sich das Stück mit der aktuellen Situation des Volkstheaters auseinandersetzen wird, da die Showmaster_innen Rosie (Evi Kehrstephan) und Rocky (Jan Thümer) mit zynischen Zungen auf das „schwierige Haus in stürmischen Zeiten“ Bezug nehmen. Doch die Stücke aus der Geschichte des Volkstheaters, sind kein mitleidssuchender Hilfeschrei der Nostalgie, vielmehr erweitern sie den Abend um eine Ebene.Während auf der Bühne beispielsweise eine schüchtern-intime Liebesszene an der Donau zwischen Gloria Beatty (Birgit Stöger) und Robert Syverton (Sebastian Klein) aus „Geschichten aus dem Wiener Wald“ von Ödön von Horváth gezeigt wird, sieht man auf der Leinwand eine fröhlich grinsende Synchronschwimmtanzchoreographie und hört von der Bühne Sätze wie „Keiner darf, wie er will. Und keiner will, wie er darf.“ Ob es sich dabei um eine Anspielung auf die Schwimmbadgerüchte handelt, mag dahingestellt sein (wenn dem so ist, nenne ich das gelungene Selbstironie), jedoch hinterlässt es durch den grotesken happy Schwimmtanz und die parallel laufende Liebesszene einen eigenartigen Geschmack von Überforderungsunterhaltung. Im Allgemeinen passiert auf der Bühne so viel, dass man kaum weiß, von welcher Seite die nächste Reizüberflutung kommen wird: Derbies (Wettrennen) durch`s ganze Haus, in der “Pausenhalle” zusammenbrechende Tänzer_innen, gegenseitiges Anstacheln, private Revierkämpfe, Kostümschlachten, Nazizombies etc.
Und wenn all das der Publikumsunterhaltung nicht reicht, kommt es zu weiteren Entertainmentmaßnahmen. Robert und Gloria, zwei sich quasi Unbekannte, deren einzige Gemeinsamkeit die Teilnahme am Tanzmarathon ist, sollen den ewigen Bund der Ehe vollziehen, denn: The show must go on. Dafür werden sie ins Hinterzimmer bzw. Hitlerzimmer gebracht, in dem die inoffiziellen Fäden seitens der Showmaster_innen gezogen werden. Doch die beiden beschließen dieser Unterhaltungsbranche einen Strich, oder wenn man so will, einen Schuss durch die Rechnung zu machen.
Fazit: Das Stück funktioniert auf vielen Ebenen: Der schnelle Wechsel zwischen Tanzmarathon und Szenenauswahl, eingebettet in ein wandlungsfähiges Bühnenbild, lassen den Abend wie in einem Rausch der Eindrücke vergehen. Es thematisiert die vorangegangene Debatte rund um die Krise des Volkstheaters und ist eine Kampfansage für die Relevanz des Hauses. Zudem stellt es die Unterhaltungsmechanismen der Film- und Theaterbranche in Frage und zeigt welche extremen Konsequenzen der Ausstieg aus diesem Vergnügungskarussell haben kann.
P.S.: Ein Warnhinweis, den ich gebe, geht an die Ohrwurm-affinen Menschen unter euch, denn dem Applauslied „Herz an Herz“ von Blümchen kann man sich kaum entziehen.