Die Sonne scheint in Graz auf das Schauspielhaus, an dem gerade die Endproben der “Showgirls” beginnen. Aus 50.000 Worten selbsterstelltem Material ist ein intensiver Abend über Leiden, Körperlichkeit, Weiblichkeit und Selbstbestimmung entstanden.
Ein Gespräch mit Schauspielerin Julia Gräfner und Regisseurin Cora Frost.
Premiere: 25. April 2017 I 20:30 I Haus Drei, Schauspielhaus Graz.
weitere Termine: Mai 5, 17, 31. I Juni 12., 17.
Zwischen Mittags- und Abendprobe treffen ich die ‘Band’ des Showgirl-Abends im Café des Grazer Schauspielhauses. Dramaturgin Jennifer Weiss, Regieassistentin Katrin Liess, Regisseurin Cora Frost und Schauspielerin Julia Gräfner haben die intensive Probenzeit schon fast hinter sich. Sie stehen kurz vor der Premiere. Der Trailer zum Stück hatte mich etwas ratlos, aber lustvoll-interessiert zurückgelassen. Weil ich vermute, dass Showgirls keine ‘Geschichte’ erzählen wird, frage ich erst gar nicht, worum es geht, sondern, warum es dieses Stück gibt. Cora Frost und Julia Gräfner philosophieren los: Über die leidende Frau, weibliche Stars und die Lust der Gesellschaft, über ihre Schicksale zu sprechen. Ich fühle mich, als wäre ich mitten drin im Probenprozess, der aus sehr viel Miteinander-Reden bestanden hat. Gleichzeitig frage ich mich im Zuhören immer wieder: Wie sieht das dann aber konkret auf der Bühne aus? Was passiert in diesen 1,5 Stunden? Es zeigt sich: Showgirls ist zuallererst ein Schutzraum. Die Bühne als Ort des Ausprobierens für Theatermachende ebenso wie für das Publikum.
Cora Frost: Es geht darum, dass man sich auch im Leiden selbst erkennt und dass man dafür einen furchtlosen Raum sucht, eine Zuflucht; dass man sich in diesen ganzen Bildern, die immer mehr werden, einen eigenen Raum schafft. Viele Leute leben ihr Leben lang Klischees. Es geht darum, dass man das durchbricht und für sich selbst etwas Neues erfindet.
Julia Gräfner: Das ist jetzt superplump. Das ist nicht fürs Interview, aber nur als Erklärung: Ich laufe als Frau durch die Welt und denke mir: Wow, ich hätt gern lange, braune Haare. Ich wär gern wie Sissi. Dann nehm ich die Perücke, aber dann denk ich mir: So ein Kleid find ich eigentlich doof, ich würde lieber eine Trainingsjacke dazu anziehen. Dann zieh ich mir die Trainingsjacke an. Könnte ich im Alltag auf der Straße schwierig machen, aber im Schutzraum Bühne kann ich das tun. Das ist das billigste, äußerlichste Beispiel, weil es nur um Kostümteile geht. Wenn wir jetzt dieses Beispiel übertragen auf: Wie kann ich Musik kombinieren mit Handlung? Wie wähle ich Text aus? Wie verschränke ich Text mit Handlung? Wenn ich das kombiniere, dann ist es nicht mehr nur Sissi, dann ist es nicht mehr nur die Trainingsjacke, dann kommt da was Neues.
Wie verlief die Arbeit genau? War es schwer, aus dem vielen Material auszuwählen?
CF: Wir haben begonnen mit Leuten, die über Filme reden. Mit Leuten, die sich total dran begeistern, wer wo gelitten hat. “Es war ein Wahnsinn. Sie war so empfindlich, aber sie war so toll und dann musste sie so sterben.” Furchtbar. Je schlimmer die Todesarten, desto begeisterter die Menschen.
JG: Wir haben fast 4 Wochen gesprochen und uns aufgenommen, Filme gesehen, Geschichten erzählt, Bücher gelesen, Musiken besprochen, Artikel besprochen. Wir haben geredet geredet geredet und dann haben wir begonnen auszumisten.
Kommt bei dieser Arbeitsweise irgendwann der Stress, weil man sich denkt “Wie geht das jetzt auf die Bühne”?
CF: Nein. Ich kenne Julia so gut, dass ich weiß, dass sie sich irgendwann was rausfischt. Wir haben uns entschieden, so lange zu reden, bis sich alles zusammenklumpt. Jeder hatte dann so sein Ding, das einen am Meisten interessiert hat.
Seid ihr zufrieden mit dem Ergebnis?
CF: Das darf man jetzt gar nicht sagen, finde ich. Wir sind zufrieden mit unseren Gesprächen. Bis hierhin war es eine sehr gute Zeit.
Kann man bei einer Stückentwicklung den Proben-/also Entstehungsprozess vom Stück-Produkt am Ende trennen?
JG: Für mich als Schauspielerin sind das zwei verschiedene Dinge. Ich habe für mich folgende Übersetzung gefunden: Premiere ist wie eine Hochzeit. Man heiratet jemanden. Das kann ein toller Abend sein oder ein beschissener. Das sagt aber nichts über die Beziehung davor aus. Es sagt aber auch nichts über die Beziehung aus, die danach noch kommen wird. Ob man sich drei Tage später trennt oder ob man 50 Jahre zusammen bleibt.
Das ist die Beziehung zwischen dir und Rolle oder dir und Stück?
JG: Zwischen mir und Projekt. Die Beziehung davor, die Hochzeit und die Beziehung danach. Es kann alles drei Kacke sein, es kann alles drei toll sein. Aber es sind drei verschiedene Dinge. Premiere ist für mich wie ein Ritual: Ich zeige meine Beziehung zu dem Inhalt oder der Person der Gesellschaft. Aber das gibt der Gesellschaft nicht das Recht, über die Proben zu urteilen. Es gibt der Gesellschaft eigentlich auch nicht das Recht zu sagen: „Was für ein Scheiß“. Man weiß nie wie sich die nächsten 15 Vorstellungen entwickeln.
CF: Aber Leute sagen dann trotzdem: Die Braut ist toll, aber das Kleid ist hässlich. Oder: Was für ein hässliches Weib.
Im Trailer fährt eine Person mit Sissi-Perücke auf einen Berg und sieht in die Ferne. Dabei werden Zitate eingeblendet, die nicht direkt mit der Geschichte des Videos zu tun haben. Wird im Stück auch so lose assoziiert, wie im Trailer?
JG: Lose im Sinn von beliebig nicht. Es mag auf manche so wirken, aber da ist kein Satz zufällig drinnen, oder nur, weil er lustig klingt. Es bedeutet alles etwas. Wenn sich für die eine oder andere Zuschauerin oder Zuschauer die Bedeutung nicht erschließt, dann ist das halt so. Es ist nicht die Idee zu sagen, hoffentlich verstehen uns alle. Wir haben nicht mit Beliebigkeit gearbeitet, oder mit Dada.
Also geht es um ein Ernstnehmen und nicht um ein ironisches Ausstellen von Weiblichkeiten?
CF: Es geht um ein Aneinanderreihen von Klischees, die sich auflösen.
JG: Ja, Klischees, die in ihrer Collagierung etwas Neues aufmachen. Mal ganz banal erklärt: Ich nehme das, das, das, das plus Geschichte xy plus meine private Sicht plus die Meinung von bp und dann sage ich: Ok, das sind jetzt die Teile. Wie kann ich das alles parallel stehen lassen oder zusammenbauen, dass daraus etwas Neues entsteht. Meine Dramaturgiedozentin hat immer gesagt, Kunst ist Blätterteig. Es geht darum, dass sich die Schichten übereinander lagern. Ich glaube, wir haben versucht, so einen Blätterteig zu machen.
Geil! Da freu ich mich drauf. Vielen Dank für das Gespräch!