Werk X-Petersplatz /// 27. Februar 2020 /// Blutiger Sommer
Mit kleinen Mitteln erzählt Alireza Daryanavards neues Stück von der Etablierung der Islamischen Republik im Iran. Unvorstellbar grausame Zeiten, die eben wegen ihrer unvorstellbaren Grausamkeit besprochen werden müssen.
Blutiger Sommer thematisiert die Geschichte des Irans zwischen 1980 und 1988. Ausgangspunkt sind die Demonstrationen gegen den Schah, die in seiner Abdankung münden. Das Machtvakuum wird von Ruhollah Chomeini ausgenutzt, der als damaliger Hoffnungsträger aus dem europäischen Exil Freiheit und Demokratie versprochen hatte, doch bei seiner Rückkehr ein totalitäres Regime aufbaut. Die islamische Revolution beginnt. Die Wirren des ersten Golfkriegs werden schließlich ausgenutzt, um lange Zeit unbemerkt Kritiker*innen des Regimes verschwinden zu lassen.
Das Stück beginnt mit einer nebelverhangenen Bühne, ein kahler schwarzer Raum. Die Schauspieler*innen bewegen sich Richtung Publikum in geraden Linien. Sie springen gleichzeitig und im Sprung breiten sie die Arme wie Flügel aus. Bei jeder Landung schlagen die Schuhsohlen hart auf, tragen zu den unheilvollen Celloklängen konstante Rhythmen bei. Mal klagend, mal quietschend, mal röhrend ist der Klang des Cellos. Über dieser Szenerie tänzeln klinisch weiße Lichter.
Die Beleuchtung gibt Orientierung innerhalb des Stücks: Die Schauspieler*innen bleiben auf ihren Bahnen und bespielt wird jeweils die ausgeleuchte Bahn. Die inszenatorischen Mittel sind minimalistisch und zurückhaltend: Das gilt für die Musik genauso wie für die Requisiten. Im Mittelpunkt stehen immerzu die Geschichten der Figuren. Daryanavard hat im Vorfeld zahlreiche Interviews mit Zeitzeug*innen geführt und Tagebücher ausgewertet. Die Berichte hat er in die Figuren Mehdi, Soraya und Farshid gegossen. Was diese Charaktere erzählen, klingt in meinen Ohren unvorstellbar:
Gefängnisse, in denen horrende hygienische Zustände herrschen und in denen 60 Männer 30 Quadratmeter-Zellen eingesperrt sind.
Foltermethoden, die wie aus der Zeit der Inquisition, nicht aus den 80ern gegriffen wirken.
Vor allem aber die Vorstellung bis zum neunten Lebensjahr im Gefängnis aufzuwachsen. Recht früh im Stück sagt die betreffende Figur:
Man muss ein Kind sein, um zu verstehen, wie furchtbar es ist, als Kind im Gefängnis aufzuwachsen und man danach niemals “normal” ist oder wird.
Zutiefst betroffen und bewegt frage ich mich nach dem Stück: Welche Menschen durchleben solche Geschehnisse und überwinden sie? Oder anders: Kann man solche Traumata überhaupt überwinden?
Fazit: Getragen von seinem Text erzählt Blutiger Sommer bewegend von den erschreckenden Lebensrealitäten von politischen Gefangenen und deren Angehörigen im Iran der 80er Jahren. Das dicht gewobene, minimalistisch inszenierte Stück ist sehenswert, denn das geringste, das man für Betroffene tun kann, ist, sie und ihre Geschichten nicht zu vergessen.
BLUTIGER SOMMER
von Alireza Daryanavard
Uraufführung
eine Produktion von Theaterkollektiv Hybrid in Kooperation mit Werk X-Petersplatz
Regie: Alireza Daryanavard | Schauspiel: Simonida Selimović, Karim Rahoma, Morteza Tavakoli | Komposition & Musik: Pouyan Kheradmand | Bühnenbild & Kostüm: Geraldine Massing | Dramaturgie: Sogol Pour-Jahan, Mascha Mölkner | Produktionsleitung: Julia Haas, Rebecca Fuxen | Künstlerischer Berater: Rainer Vierlinger | Technik: Ines Wessely, Anna Bauer
Weitere Infos zum Stück findest du hier: Klick!
Fotorechte: © Alexander Gotter