aktionstheater ensemble /// 18. November 2020 /// Bürgerliches Trauerspiel
Es herrscht Quarantäne-Stimmung: vier Personen stehen verloren auf der Bühne, hinter ihnen ihre Käfige. In einer Performance aus Musik, Tanz und Schauspiel bringt Regisseur Martin Gruber die Einsamkeit und Ironie der bürgerlichen Lockdown-Version auf die Bühne.
Michaela, Horst, Thomas und Benjamin wirken neben der Spur. Die vier stehen einsam im Raum, wenn jemand zu nahe kommt, spürt man das Unwohlsein, sie weichen nach hinten aus. Jeder hat so viel zu erzählen, aber eigentlich wenig zu sagen. Hinter ihnen auf der Bühne: Metallgestelle, die wie Käfige wirken. Sie reden durcheinander, unterbrechen, wiederholen sich, gehen kaum aufeinander ein. Jeder hat seine Quarantäne-Geschichten, ein spezielles neues Hobby (Dokumentationen, Produktrezensionen lesen), einen gedanklichen Fluchtort (ein Urlaub auf Kuba im Januar, ein Stück von Schnitzler). Alle sind so bedacht zu Wort zu kommen. Der soziale Druck ist spürbar. Worüber sie reden, wechselt schnell. Es geht um Vegetarismus, Möbeldesign und die Erinnerungen an das Leben vor Corona, dann zwischendurch eingestreut tragische persönliche Geschichten und das Elend des Flüchtlingslagers Moria. Die Performance wechselt dabei organisch zwischen Tanz Choreographie und Schauspiel, im Hintergrund immer wieder rhythmisch-traurige Musik.
Das Stück spiegelt eine moderne Bürgerlichkeit, die sich selbst verleumdet. Sie sind vegetarisch, bobo und feministisch, verurteilen SUVs und fliegen gerne in den Urlaub. Sie haben starke Meinungen und reden viel von sich selbst. In einem Moment sind sie politisch korrekt, im nächsten blind für die eigene Privilegiertheit, wenn sie Krankenschwestern und Kassiererinnen in der Pandemie bevorzugt sehen. Ihre Unterhaltungen klingen dabei wie eine kritische Parodie auf unsere junge Generation. Der Spiegel, den Regisseur Gruber uns dabei vorhält ist riesig und im Retro-Design. Wo die Grenze zwischen Schauspiel und Realität ist, verschwimmt. Das liegt zu einem Großteil am Konzept der Inszenierungen des aktionstheater ensembles: Die erzählten Geschichten basieren alle auf Erlebnissen der Schauspieler*innen. Alle ein wenig verändert und in neuem Kontext. Die aufgeworfenen Fragen sind „Was regt uns am Bürgerlichen auf?“ und „Wann sind wir bürgerlich geworden?“ und an die geht das Stück mit viel Humor ran. Die sich ewig im Kreis drehenden Unterhaltungen, die Nostalgie, der Drang sich mitzuteilen, auch wenn man nichts zu erzählen hat, fügen dem noch den Lockdown-Alltag hinzu.
Insgesamt ein sehr gelungenes Theaterstück, das mit Gefühlen spielt. Man bleibt peinlich berührt zurück und muss sich damit auseinandersetzen, wie viel von sich selbst man in den Bürgerlichen, für die sich niemand hält, findet. ,,Das bürgerliche Trauerspiel“ könnte sehr lustig sein, wenn die Verlorenheit und Einsamkeit nicht so greifbar, kurze Blicke nach Moria und in das Innenleben der Personen nicht so tragisch wären.
Ansehen kann man sich das Stück noch bis zum 30.11 im Onlinestream des aktionstheaters.http://aktionstheater.at/