Kosmos Theater (Wien) /// 08. Jänner 2020 /// Das Werk
161 tote Arbeiter. Wen interessiert´s? Das ist nun mal das Opfer, das der Größenwahn der Menschen im Kampf gegen die Natur, fordert. Claudia Bossard und ihrem Ensemble gelingt es den jelinekschen Sprachensturzbach fließen zu lassen, ohne dabei an zynischem Humor einzubüßen.
Im zweiten Teil von Elfriede Jelineks Alpentrilogie „Das Werk“ wird der Bau des Speicherkraftwerks von Kaprun thematisiert, bei dem 161 Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene ums Leben kamen. Auch der Gletscherbahnbrand im Jahr 2000 verzeichnet 155 Todesopfer und ist die Konsequenz des menschlichen Eingriffs in die Natur. Jedoch wurde für die Vorfälle niemand zur Verantwortung gezogen. „Die Technik hat das Schicksal abgelöst.“ Das Thema ist aktueller denn je, in einer Zeit, in der Klimakatastrophen als Schicksalsschläge, abgekoppelt von menschlichem Zutun, verhandelt werden.
Zu Beginn des Stücks sieht man eine schweigende Runde von vier Diskutierenden in Wanderschuhen um einen Symposiumstisch sitzen. Dieses Schweigen wird durch einen Schwall von Bildungselitegeschwafel abgelöst. Inhaltlich geht es dabei um das Sprachgenie von Jelinek, jedoch verläuft sich die Diskussion in der intellektuellen Selbstdarstellung, in der sich die vier Sprachwissenschaftler*innen baden. Ein wunderbar humorvoller Einstieg in das sprachgewaltige Stück.
Das eingespielte Ensemble geht lustvoll mit dem eloquenten Text um und gibt dadurch der Sprache ihren Raum, ohne in die Schwere zu fallen. Dabei gehen Zynismus und Witz stets Hand in Hand. Während auf der einen Seite beispielsweise Alice Peterhans am Berge-Buchdeckel geräuschvoll die Arbeiter in eine Lawine abstürzen lässt, erzählt Lukas David Schmidt als Ingenieur Geissenpeter im weißen Butlerfrack hoffnungsvoll von seinem Traum zu bauen. Denn Österreich als Idee ist grenzenlos und die Baustelle ist der Kampfplatz, an dem der Mensch das Gestein angreift. Schmidt erklimmt den nackten Podest-Turm und erklärt der nicht vorhandenen Heidi: „Heidi, du verkörperst das, was das Werk werden soll. Das Bleibende.“ Anschließend singt er kitschig schön Freddy Quinns „Junge komm bald wieder“ von der Turmspitze.
Mit verschiedenen Mitteln wird die Tragik des technischen Größenwahns vermittelt. So erinnern die vom Halleffekt verzerrten Mikrogeräusche an Gesteinsarbeit, wie Hammerschläge oder Geröll-Lawinen und lassen mich erschauern. Im Schlussmonolog von Veronika Glatzner, als Stellvertretermutter für all die gefallenen Arbeitersöhne, betont sie, dass „die Toten wenigstens die Schmerzen vergessen“, ohne dabei jedoch eine Miene zu verziehen. Um Betroffenheit zu simulieren, schüttet sie sich Wasser als bittere Tränen ins Gesicht und knipst mit ihrem Autoschlüssel die Beamerleinwand an, auf der zum Schluss, statt der weißen Berge, einstürzende Betonbauten, die sich in Rauch auflösen, zu sehen sind.
Fazit: Claudia Bossard schafft es, den Sprachberg in ein lustiges und zynisches Spiel zu verpacken, welches das Publikum am Ende mit der Frage den Raum verlassen lässt, wohin der Rauch der Toten zieht und wen das eigentlich wirklich interessiert.
DAS WERK
Teil 2 der Alpentrilogie von Elfriede Jelinek
Regie: Claudia Bossard | Ausstattung: Elisabeth Weiß | Dramaturgie & Regieassistenz: Barbara Juch | Musik & Video: Annalena Fröhlich | Mit: Veronika Glatzner, Alice Peterhans, Tamara Semzov, Lukas David Schmidt, Wojo van Brouwer
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Fotos: © Bettina Frenzel