Akademietheater /// 08.10.2020 /// Der Leichenverbrenner
Die breitflächigen Schrecken und Verbrechen des deutschen Nationalsozialismus scheinen viel erzählt. In dieser psychologischen Horrorgeschichte über einen Familienmenschen aus Prag wird allerdings gezeigt, wie sich das totalitäre Gift des Faschismus arglistig und langsam im kleinen, bescheidenen Mann festsetzte.
Zaghaft und atmosphärisch setzt zu Beginn die Musik ein und eröffnet die Szene einer scheinbar glücklichen und unbedarften Familie beim Zoobesuch. Ihr einheitlich schwarz gekleidetes Erscheinungsbild steht dabei auf obskure Weise im Kontrast zu ihrer Euphorie und erinnert an die Adams Family. Das Leben viele Jahre nach dem 1. Weltkrieg ist friedlich in Prag, denn wie auch der Familienvater und Krematorium-Bestatter Karel Kopfrkingl stets betont, hätte man nun nichts mehr zu befürchten. Diese optimistische Einstellung und die traute Stimmung im Zoo werden jedoch von den grauenhaften Vorahnungen einer geisterhaften Frau durchbrochen, welche vor ihrem inneren Auge bereits die Bomben auf diesen geruhsamen Ort herabregnen sieht. Ob die prophetische Frau für alle sichtbar ist oder nur dem Unterbewusstsein von Herrn Kopfrkingl entspringt, bleibt dabei unklar.
‘Bedenke Mensch, dass du Staub bist und zum Staub zurückkehrst’, so die Devise des leidenschaftlichen Bestatters, welcher in Feuer und Tod, die große Erlösung, Reinigung und Ordnung sieht. Er scheut den Tod nicht, fetischisiert ihn geradezu. Dieser makabere Tanz mit dem Tod beschränkt sich aber längst nicht auf Beruf und Einstellung: Seine manischen Visionen garantieren eine ständige Präsenz des Todes, da sich dessen personifizierte Gestalt auch als unheilvoller Puppenspieler und leitende Hand hinter Karels nationalsozialistischem Gesprächspartner gibt. Somit erfüllt der Schauspieler hinter der Puppe seine ‘leitende’ Funktion nicht als Mittel zum Zweck sondern als wichtige und vor allem metaphorisch wirkungsstarke Instanz der Inszenierung des Stücks (- eine gestalterische Raffinesse, die man bei Nikolaus Habjans Theaterproduktionen oft und gerne sieht).
Dass die faschistische NS-Ideologie und ihre Anhängerschaft enge Kameraden des Todes sind und diesen im Zuge ihrer ‘Reinigung des Volkes’ heillos über Europa bringen, wird im Theaterstück Der Leichenverbrenner somit nicht nur thematisiert, sondern auch sinnbildlich dargestellt. Die generell starke Tendenz zur symbolischen Ausgestaltung durch bspw. Kostüme, Puppen, Musik und Lichteffekte in diesem Stück hilft somit ein derart schweres und dennoch notwendiges Thema wie dieses halbwegs verdaulich zu transportieren. Als ‘Horrorgeschichte’ verpackt ist das Stück dabei sogar relativ kurzweilig.
Fazit: Den Nationalsozialismus und seine Auswirkungen zu thematisieren ist eine heikle Angelegenheit, da es keine Worte gibt, die einem Grauen diesen Ausmaßes gerecht werden könnten. Mit großer Symbolkraft, raffiniertem Einsatz von Puppen und einer angemessenen Balance zwischen wissendem Schweigen und detailreichen Ausmalens der fürchterlichen Geschehnisse während des NS, ist dem gesamten Produktionsteam dennoch ein erstklassiges Theaterstück gelungen. Sehr zu empfehlen.
DER LEICHENVERBRENNER von Ladislav Fuks
Regie: Nikolaus Habjan | Bühnenbild: Jakob Brossmann | Kostüm: Cedric Mpaka | Kostüm-Mitarbeit: Lugh Amber Wittig | Dramaturgie: Andreas Karlaganis | Komposition: Klaus von Heydenaber | Licht: Norber Piller | Mit Nikolaus Habjan, Manuela Linshalm, Dorothee Hartinger, Sabine Haupt, Alexandra Henkel, Michael Maertens
Fotos: © Matthias Horn
Weitere Infos: https://www.burgtheater.at/veranstaltungen/der-leichenverbrenner/2020-10-13
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