Kammerspiele der Josefstadt /// 24. September 2020 /// Die Liebe Geld
Daniel Glattauer reagiert mit beißendem Sarkasmus auf den Vertrauensverlust in das Bankensystem. Doch wohin sollen wir unser Geld bringen, wenn nicht zur Bank?
Alfred Henrich (Roman Schmelzer) versucht seit Tagen Geld von seinem großzügig gedeckten Konto bei der DLB, Die Liebe Bank, abzuheben, aber selbst mit neu angeforderter Bankomatkarte will es ihm nicht gelingen. Verzweifelt und wütend versucht er seine Bankbetreuerin Mag. Drobesch, (Martina Stilp) zu sprechen. Dabei stellen sich ihm automatische Anrufbeantworter, Call-Center-Mitarbeiter*innen und Zoom-Konferenzen als Hürden in den Weg, die dem Publikumsgelächter nach wohlbekannt sind. Als er seiner Beraterin endlich gegenübersteht, erklärt ihm diese, dass sein Geld zwar theoretisch vorhanden sei, sich aber gerade auf Geschäftsreise befindet und daher “beschäftigt” sei. Gefasst argumentiert er, dass sein Geld ja wohl auch ein Recht auf Freizeit habe.
Im weiteren Verlauf nimmt das Publikum an den zahlreichen Versuchen Henrichs, an sein Geld zu kommen, teil. Der Alptraum, über das eigene Geld nicht verfügen zu können, wird detailreich dargestellt. An manchen Stellen wirkt das Stück wie Science-Fiction, etwa wenn der Bankdirektor Dr. Cerny (Michael Dangl) dank Henrichs Kontoauszüge über alle Einzelheiten in dessen Lebeninformiert ist. Glattauer erinnert das Publikum, wie viel Macht wir alle den Banken einräumen.Nicht nur verfügen die Geldinstitute über unser Geld, sondern auch über unsere Daten und somit ebenso über intime Informationen.
“Was ist schon fantasievoll heutzutage?”
fragt Dr. Cerny im goldenen Anzug den deutlich angeschlagenen Henrich, der weder mit Betteln noch mit Drohen an sein Geld gekommen ist. Über scheinbare Kundennähe versuchen die Bankangestellten, von Henrichs eigentlichen Forderung abzulenken. Die Funktion einer Bank, das anvertraute Geld zu verwahren und im Idealfall zu vermehren, wird von der DLB gänzlich neu interpretiert.
Daniel Glattauer legt mit seinem Stück den Finger auf ein zeitgenössisches Problem, welches sich durch den aktuellen Wirecard-Skandal oder dem Zusammenbruch der Commerzialbank Burgenland, bei welchem das noch vorhandene Vermögen nicht einmal mehr dafür ausreichte, die Einlagensicherung zu begleichen. Mit viel Wortwitz geht Glattauer der Bankensprache auf den Grund und zerlegt wohlbekannte Floskeln. Dabei zeichnet er ein akkurates Bild von den Ohnmachtsgefühlen, die mit dem Verlust des Ersparten einhergehen. Glattauer ermöglicht ein Nachdenken, das gerade jetzt dringender denn je scheint. Bereits vor Corona war Bargeld am Verschwinden, durch den Virus haben bargeldloseZahlungen und Online-Banking weiter zugenommen. Die Bankenskandale allerdings auch. Aber wem noch vertrauen, wenn nicht der eigenen Bank? Am Ende des Abends überwiegt das Bedürfnis, sein Geld unter der Matratze in Sicherheit zu bringen.
Fazit: Zeitgenössisches Theater mit vielen tagesaktuellen Reminiszenzen – eine Tragikomödie, die zum Nachdenken bringt, ohne den Theatergang zu beschweren.