Akademietheater /// 24. Jänner 2024 /// Die Verwandlung
Regisseurin Lucia Bihler bringt die Bearbeitung von Kafkas wohl berühmtester Erzählung mit einer unerwarteten Ästhetik auf die Bühne des Akademietheaters. Spoiler: Ein Käferkostüm gibt es nicht, der Mensch ist hier das Ungeziefer.
Als Gregor Samsa eines Morgens
Am Anfang ist Geduld gefragt. Pechschwarze Kulisse, ein schier endloses Fangspiel vierer Schauspieler*innen. Diese bilden neben ihren späteren Rollen als Gregor Samsas Familie eine Art Chor und nehmen letztere Aufgabe ein bisschen zu ernst: Sie singen den programmatischen ersten Satz von Franz Kafkas „Verwandlung“ in einem schiefen Kanon, der nichts Gutes verheißen kann. Und dann lüftet sich die schwarze Hebewand. Der fast surreale Blick in ein Zimmer mit greifbar nahem Fluchtpunkt, das die Betrachterin förmlich in sich hineinsaugt, entschuldigt alles, was davor kam.
Ein lebendiges Gemälde
Das Bühnenbild von Pia Maria Mackert ist die größte Stärke der Inszenierung. Die triste und bedrückende Atmosphäre der Erzählung entsteht paradoxerweise erst richtig durch die grellbunten Farben, in denen Gregor Samsas Zimmer gestaltet wurde. Ihn selbst (Paulina Alpen) markiert nur eine signalorangene Jacke mit Schulterpolstern bis zu den Ohren als Monster. Derart schrille Kostüme (Victoria Behr) und groteske Puppenköpfe, die der Familie Samsa zeitweise aufgesetzt werden, tragen zum Eindruck bei, in ein expressionistisches Gemälde zu schauen. Umso beeindruckender dann der Wechsel in die Vogelperspektive: Die Wand wird zum Boden, Gregor kann an die Decke krabbeln und dort ein wenig abhängen – der einzige Moment, wo er angekommen scheint im Käfersein.
Täglich grüßt das Krabbeltier
Immer und immer wieder erleben wir Gregors Aufwachen als Ungeziefer in leichten Variationen. So rollt er zu vier Instanzen potenziert aus dem Bett, um sich auf Geschäftsreise zu machen und die Familie zu versorgen, die von allen Seiten an die Türen klopft. Selbst Franz Kafka (Jonas Hackmann) als Moderator dieser Szenen sieht sich sprachlich überfordert. Eine chronologisch voranschreitende Handlung verunmöglicht sich damit, doch gerade so wird deutlich: Gregor ist nicht nur gefangen in seinem eigenen Zimmer und einem fremden Körper, sondern auch in seinem Kopf, mitsamt kreisenden Gedanken – er kann sich mit niemandem mehr verständigen.
Die Familie, die Kammerjäger
Als Ausgestoßener muss er diesen Zustand nun im Terrarium gewordenen Zimmer aussitzen, wo ihn die Eltern (Dorothee Hartinger, Philipp Hauß) und die geliebte Schwester Grete (Stefanie Dvorak) voll Argwohn beobachten. Eine Besserung ist nicht in Sicht, niemand wird mehr freund mit dem Ungeziefer, und so steht nach pragmatischer Familienkonferenz der Beschluss: Es muss weg. Mit dem Besen geht man vor gegen das Monster, in dem niemand mehr den Sohn oder Bruder sehen möchte. Wer nach Sichtung der Obstschüssel auf den berüchtigten Apfelwurf gewartet hat, wird nicht enttäuscht: Er nimmt im Akademietheater ungeahnte Dimensionen an.
Kein Abgang ohne Lichtblick
Bevor Gregor Samsa der Familie den Gefallen tut und sein Leben aushaucht, bekommen wir aber noch eine neue Perspektive aus der Feder von Bruno Latour, die uns sagt, was die Produktion ohnehin zeigt: Nicht Gregor ist das Ungeheuer, sondern die Familie, die ihn wie eins behandelt. Und vielleicht liegt gerade im Insekt-Werden eine große Chance. Worin diese liegen mag, hat das Publikum zu ergrübeln. Falsch ist hier, wer für leichte Kost kommt, doch wer ein Faible für Bühnenbild hat, wird leicht auf seine Kosten kommen.
DIE VERWANDLUNG
Neubearbeitung nach Franz Kafka
Mit: Paulina Alpen, Jonas Hackmann, Stefanie Dvorak, Dorothee Hartinger, Philipp Hauß | Text: Franz Kafka | Regie: Lucia Bihler | Bühne: Pia Maria Mackert | Kostüme: Victoria Behr | Dramaturgie: Mats Süthoff, Jeroen Versteele
Mehr Informationen:
Akademietheater – Info und Tickets
Weitere Vorstellungen: Sa, 03.02.2024 – Sa, 10.02.2024 – Mi, 28.02.2024 um jeweils 20 Uhr
Fotos: © Marcella Ruiz Cruz