WERK X-Petersplatz /// 11. Juni 2023 /// hideaway. Liebe und andere Radikalitäten
Die Uraufführung „hideaway. Liebe und andere Radikalitäten“ des Kollektivs Bauer + Baum bietet eine immersive und emotional turbulente Theatererfahrung rund um vier queere Freund*innen, die in einem italienischen Bungalow urlauben. Doch die Glaswände rücken näher.
Eigentlich wollen sie ihren komplexen Familien- und Beziehungsdramen entfliehen, doch die Geschichte holt die vier Urlauber*innen ein. Zu deren persönlichen Problemen, denen sie auch in Italien (Platz 51 auf dem Gay Travel Index) nicht entkommen, gesellen sich jene aus 1958, in Form eines revolutionären, lesbischen Paars, auf welches das Feriendomizil zurückgeht. Zwischen Diskussionen auf höchstpersönlicher und gesamtgesellschaftlicher Ebene wird geschwitzt, getanzt und gekocht – meist heißer, als dann gegessen wird.
Panoptikum des Privaten
Das Alltägliche und Private zu verbinden, ist das Ziel des federführenden Kollektivs Bauer + Baum, das sich aus Regisseurin und Autorin Isabella Sedlak sowie Kostüm- und Bühnenbildnerin Sophie Baumgartner zusammensetzt. Aus dieser Zusammenarbeit resultiert eine Produktion, bei der sich die Zuschauer*innen frei durch den Raum bewegen und das Ensemble im Glasquader aus allen Winkeln begutachten können. Dieses Panoptikum lässt keine Tabus zu und bietet nebenbei auch Gelegenheit, alle Details des liebevoll zusammengestellten Urlaubs-Grundsortiments an Mückenspray, Barilla-Sugo und E-Zigarette wahrzunehmen. So unbeschwert dieses familiäre Sammelsurium zunächst anmuten mag, so unheilvoll brauen sich zwischen Sonnenbrand, Insektenbissen und lesbischem Schweiß eine Abrechnung mit der Rechten und die Beschneidung der Rechte zusammen.
Allzeit radikal?
Nicht nur aufgrund der Hitze schälen die vier „hideaway“-Schauspieler*innen neben Wassermelonen auch sich selbst immer wieder aus ihren Kostümen: Das Schlüpfen aus oder Überwerfen von Kleidungsstücken signalisiert einen Wechsel in der Zeitebene. In keiner davon wird sich jedoch der Heteronormativität hingegeben, und die latente Bedrohung von außen bleibt präsent – seien es nun die Gesetze oder der Post-, äh, Neo-, äh- einfach nur Faschismus. Auf die titelgebenden Radikalitäten hofft das progressiv sozialisierte Publikum jedoch vergebens.
Halbgar und dennoch bissfest
Es werden zwar Themen wie Polyamorie, “Reichsbürger” und moderne Familienkonstruktion in den Topf geworfen und immer wieder aufgekocht, noch bevor die Spaghetti aus der Bungalowküche gar sind. Dafür muss man jedoch in Kauf nehmen, dass vieles nur oberflächlich und mehr als Schlagwort abgehandelt wird. Unzweifelhaft bedient “hideaway” auch queere Klischees, thematisiert dies jedoch selbstkritisch – ob das reicht, muss wohl jede*r für sich selbst entscheiden. Zusammen mit der Anrufung feministischer Ikonen und vielen Momenten, in denen das Lachen im Halse stecken bleibt, liefert dieses dicht gewebte, sensorisch starke Stück zwar keine einfachen Antworten, schickt eine*n aber nachdenklich auf den Heimweg.
HIDEAWAY. LIEBE UND ANDERE RADIKALITÄTEN
Uraufführung von Bauer + Baum in Kooperation mit WERK X-Petersplatz
Mit: Nina Fog, Lisa Kärcher, Marie Noel, Moritz Sauer | Mit Stimmen von:
Valentina Ferrari, Michael Schusser | Text: Isabella Sedlak und Ensemble |
Bühne und Kostüme: Sophie Baumgartner | Musik und Sounddesign: Philipp Pettauer | Dramaturgie: Moritz Sauer | Bühnenbau: Johannes Plos | Regiemitarbeit:
Juliane Aixner
Mehr Informationen hier:
https://werk-x.at/premieren/hideaway/
Titelfoto © ISABELLA SIMON