Volx /// 11. März 2022 /// Humane Methods [∑XHALE]: Eine interaktive Autopsie menschlicher Gewalt /// Episode I-II von VI
Mystisch, immersiv und einzigartig. Das Volkstheater präsentiert in seiner Margaretner Spielstätte Volx das vom Künstler*innenkollektiv ‚Fronte Vacuo‘ konzipierte sechsgliedrige Performance-Stück „Humane Methods [∑XHALE]“. Besonders der mitwirkende Algorithmus <dmb> zieht neugierige Blicke auf sich.
Stellen Sie sich vor Sie sitzen in einem Gewächshaus, umgeben von Ranken, Flechten und Moos, in der Luft liegt ein leicht modriger Duft, der auf die überall verstreute feuchte Erde hinweist, rund um Sie raschelt leise schon lang vertrocknetes Laub. Es ist eine Szene, wie aus der Zukunft gegriffen, eine Szene, die uns schon bald, wenn wir nichts an unserer Haltung verändern, durch eine Klimakatastrophe drohen könnte. Sehen Sie etwas weiter, so entdecken Sie, dass Sie nicht allein sind, weitere Menschen teilen Ihr Schicksal, sitzen zur je rechten oder linken Seite des Gewächshauses und beobachten apathisch wirkende Wesen, die sich jeweils in den Zwischenräumen, der drei aneinandergereihten Glashäusern, tranceartig fortbewegen. Nun bemerken Sie auch das immer stärker flackernde Licht, welches von einer mystischen, immer unruhiger werdenden Musik untermalt wird. Die Lage zwischen den nahezu grotesk wirkenden Geschöpfen scheint sich zuzuspitzen, denn sie reagieren auf die immer hektischer werdende Musik und das stark flimmernde Licht zunehmend aggressiver.
Es ist <dmb>, ein in das Stück integrierter künstlich neuronaler Algorithmus, der hier seine*ihre Fäden zieht und durch seine*ihre audiovisuelle Gestaltung aktiv in das Stück eingreift. Ihr*Ihm wird dabei eine nahezu affektive Handlungsmacht zugesprochen, denn er*sie reagiert auf visuelle Effekte, die mittels im Raum installierten Kameras erfasst werden. So beeinflusst jedes kleinste Ereignis, jede getätigte Handlung und jede minimalste Veränderung der Performer*innen sowie des Publikums den Output von <dmb>, lassen Licht und Musik in nie zuvor dagewesener Form erscheinen.
Wenn es aber nun <dmb> ist, der*die die immer weiter außer Ufer geratene Lage zu kontrollieren scheint, so muss zwangsläufig die Frage gestellt werden, wie dieser verheerende Teufelskreis gebrochen werden kann. Auch kann man sich fragen, was das Ausgangsereignis war, weshalb <dmb> erst begonnen hat, immer hektischer zu werden. Können Handlungen des Publikums den Algorithmus beschwichtigen? Die Performer*innen in ihrer nahezu extraterrestrischen Form scheinen immerhin zu sehr von den audiovisuellen ‚Weisungen‘ des Algorithmus beeinflusst zu sein.
‚Humane Methods [∑XHALE]‘ ist ein Stück wie man es selten in konventionellen Theaterhäusern sieht. Es ist gerade die immersive Kraft, die dem Performance-Stück innewohnt, die die Zuseher*innen zu aktiv handelnden Subjekten werden lässt. Nicht frontal sondern rund um das Publikum wird statt einem Stück mit klassischem dramatischem Aufbau eine Performance aufgeführt, die mit dem Publikum erst ihre Vollendung findet. Die Performer*innen beweisen dadurch nicht nur ausgesprochene Spontanität, sondern auch sehr hohe Leidensfähigkeit, denn finden Sie nicht in ihren zyklenhaften symbolischen Gestus zurück, so droht die Situation zu eskalieren, weil <dmb> die Unruhe stetig neu analysierend erkennt. Dann werden die Performer*innen gezwungen, sich arhythmisch zu bewegen, entkräftet zu Boden zu fallen, gegen andere Wesen zu Kampfe zu ziehen oder gar vor Erschöpfung zu sterben .
Das Künstler*innenkollektiv ‚Fronte Vacuo‘ verhandelt in seinem Stück viele Themen, vernetzt sie und macht mittels der Algorithmierung ihre Zusammenhänge erkennbar. Es ist vor allem das Gefühl der Ausweglosigkeit, das schlussendlich festgehalten werden kann. Es bleibt zu hoffen, dass vielleicht gar in den kommenden ‚Aufführungen‘ zumindest der beständige Gewaltzyklus des Stückes durchbrochen werden kann. Dass unsere bestehenden Probleme, die Klimakrise, die beständig herrschende Gewalt auf Erden oder die sich nun immer weiter in unser Leben drängenden Technokraten, dadurch allein nicht gelöst oder verhindert werden können, ist ganz klar, doch können wir mittels künstlich neuronaler Netzwerke neue Handlungsräume austesten und so mögliche Lösungswege finden.
HUMANE METHODS [∑XHALE]: EINE INTERAKTIVE AUTOPSIE MENSCHLICHER GEWALT
Uraufführung von und mit dem Künstler*innenkollektiv ‚Fronte Vacuo‘
Konzept: Fronte Vacuo | Regie, Choreographie, KI-Musiksystem: Marco Donnarumma | Choreographie, Symbionten: Margherita Pevere | Interaktives Licht- und Videodesign, technische Leistung: Andrea Familari | Bühne und Kostüm: Anna Cingi | KI, Machine Learning Research: Baptiste Caramiaux | KI Engineering: Meredith Thomas | Dramaturgin: Anne-Katrin Schulz | Performer*innen, choreographisches Denken: Hikaru und Maco Ingawa (4RUDE), Steffi Wieser, Will Lopes, Margherita Pevere, Marco Donnarumma | Audiovisuelle Dramaturgie: KI-Performer*in <dmb>
Mehr Informationen hier: https://www.volkstheater.at/produktion/921054/humane-methods-%E2%88%91xhale-5/
Weitere Termine:
#Episode 1: 18.03.2022 /// #Episode 2: 18.03.2022 /// #Episode 3: 12. u. 19.03.2022 /// #Episode 4: 12. u. 19.03.2022 /// #Episode 5: 13. u. 20.03.2022 /// #Episode 6: 13. u. 20.03.2022
Fotos: © Nikolaus Ostermann