Theater in der Josefstadt /// 05. Dezember 2019 /// Der Kirschgarten
Verkaufen oder nicht? Diese Frage beschäftigt 13 Menschen in Tschechows „Kirschgarten“ in einer bunten, schnellen Inszenierung in der Josefstadt.
Nach fünfjähriger Abwesenheit in Paris kehrt Ljubow mitsamt ihrer Entourage zurück zu ihrem Landsitz. Da dieser hoch verschuldet ist, will der reiche Kaufmann Jermolaj sie zu einem Verkauf überreden. Während des Sommers ist nicht nur das Thema, sondern es wird auch geliebt und diskutiert.
Die Neuauflage an der Josefstadt, auf die Bühne durch ein weibliches Team gebracht, setzte Tschechows Text aus dem Jahr 1904 glaubwürdig in die Moderne. Besonders sticht hervor, dass in der Inszenierung die Gouvernante Charlotte eine Transfrau ist. Zwar wird die Figur von einem Cis-Mann dargestellt, aber ihre Geschlechtsidentität wird nie in Frage gestellt. Nicht nur wird sie in keinem Moment missgendert oder sich über sie lustig gemacht, sondern Familie, Freund*innen und Dienstbot*innen motivieren Charlotte dazu, akrobatische Kunststücke aufzuführen, die anscheinend wichtig für ihre weibliche Identität sind. Trotz der positiven queeren Message bleibt sie jedoch ein Nebencharakter ohne eigene Geschichte, der nur zum Unterhaltungwert des Stücks beiträgt.
Aktuelle gesellschaftliche Debatten hat Regisseurin Amélie Niermeyer auch in der Darstellung von sexuellen Annäherung berücksichtigt. Der Kampf um Ljubows Gut erfolgt nicht nur auf finanzieller, sondern auch auf körperlicher Ebene. Bei Jermolajs erstem Angebot kommt er Ljobow so unangenehm nahe, dass sie immer weiter zurückweicht. Als der Kirschgarten endgültig verkauft ist, legt er nicht nur Hand an ihre geliebten Bäume, sondern auch an sie. Die sexuellen Übergriffe bleiben jedoch niemals unkommentiert, eine andere Person schreitet immer ein, um der Bedrängten zu Hilfe zu kommen.
In diesem Kirschgarten ist die Hierarchie aus Gutsbesitzern und Bediensteten kaum sichtbar, alle agieren auf einer Ebene. Einzig Otto Schenk als Dienstbote Firs sticht durch seine Kleidung eindeutig als Dienstbote hervor und repräsentiert die “alten Zeiten”. Obwohl das Aufheben der Klassenunterschiede ein positives Bild ist, verstärkt es leider die Verwirrung für die Zuschauer*innen: Dadurch, dass die Personen nie vorgestellt werden und die sperrigen russischen Namen schwer zu merken sind, dauert es weit in die zweite Hälfte des Stückes hinein, bis die Verhältnisse zwischen den Personen (mithilfe des Programmes) mehr oder weniger klar sind. Dagegen kann auch das fulminante Ensemble nichts machen.Insgesamt driftet die Inszenierung mit ihrem Einsatz der Drehbühne, den sich viel bewegenden Charakteren und der Situationskomik zu sehr in Hektik ab. Dies verhindert auch, dass man sich in die Charaktere und ihre Konflikte als Zuschauer*in hineinfühlt. So kommt auch keine Stimmung auf, da “hilft” auch die schöne Musik von Ian Fisher nicht, stattdessen zieht sie das Stück nur weiter in die Länge.
Fazit: Motivierte, moderne Inszenierung, die aber zu hektisch und verwirrend ist.