Burgtheater Wien // 26.09.2021 // Komplizen
Die Fusionierung von Maxim Gorkis Dramen “Kinder der Sonne” und “Feinde” mit der Ergänzung von eigenen Texten ergeben das neue Stück “Komplizen” von Simon Stone. Anstatt in Russland 1905 verorten sich die zentralen Figuren jedoch in einer modernen bungalow-ähnlichen Villa in Wien, im Jahr 2021. Gorkis Beispiel folgend, übt Stone mithilfe und anhand von seinen Komplizen Gesellschaftskritik aus.
Sisyphusarbeit sei das, meint der Handwerker Igor (Rainer Galke) zur Putzkraft Farida (Safira Robens), die die großen Glasfenster einer Wiener Villa putzt. Sisyphus, weil jede einzelne Wand dieser Villa, die das Bühnenbild in “Komplizen” formt, aus Glas besteht und Fingerabdrücke sogleich ersichtlich sind. Igor setzt auch gleich zur Erklärung mithilfe der griechischen Mythologie an, in welcher Sisyphus dazu verdonnert wird, einen Felsblock den Berg hinaufzurollen, der ihm jedes Mal kurz vor dem Gipfel wieder entgleitet. In Simon Stones neuem Stück verkörpert jedoch nicht nur das vergebliche Reinigen der gläsernen Wände die Sisyphus-Arbeit – jede und jeder hinterlässt während des Stücks einen ganz eigenen Fingerabdruck, welcher sich nicht mehr entfernen lässt.
Zu den Figuren von Stones Stück zählt der Hausherr Paul (Michael Maertens), ein unsicherer Wissenschaftler, der, wenn er einmal keinen Kater hat, Schimmel unter seinem Mikroskop untersucht, um die verblichene Kunst der Vergangenheit zu erhalten. Seine Ehefrau Tanya (Lilith Häßle), eine Schauspielerin, ist etliche Jahre jünger als Paul und in ihrer unglücklichen Ehe festgefahren. Tanya wird vom Filmregisseur und Fotografen Dietmar (Roland Koch), der früher Sozialkritik betrieben hat und nun im Kommerz gelandet ist, umgarnt. Die Anwältin Melanie (Birgit Minichmayr), die wiederum Paul anhimmelt, ist wahrscheinlich hochintelligent und glänzt trotzdem nur durch ihre häufigen Selbstgespräche. Pauls Schwester Lisa (Mavie Hörbiger) ist depressiv und der Therapeut Botho (Felix Rech), Melanies verhasster Bruder und in seine Patientin Lisa verliebt, hat selbst schwerwiegende psychische Probleme. Neben der Elite Wiens sind auch deren Bediensteten präsent und dabei keineswegs auf den Mund gefallen. All diese Personen wurden von Stone aus Maxim Gorkis Drama «Kinder der Sonne» (1905) entnommen, welches sich mit dem Aufstand aufgrund der damals herrschenden Cholera in Russland beschäftigt. Ein hochaktuelles Thema in der heutigen Welt: Auge um Auge, Pandemie um Pandemie. Aus Gorkis «Feinde» (1906) ist das Thema des Klassenkampfes, geführt von Pauls Onkel Matthias (Peter Simonischek), dessen Geschäftspartner Raschid (Bardo Böhlefeld) und seiner Ehefrau Cleo (Stacyian Jackson) als eigentliche Strippenzieherin sowie Fabrikarbeitern übernommen.
Die von Bob Cousins entworfene gläserne Villa, die sich fortwährend um die eigene Achse dreht und Einblick in das privilegierte Leben der Einwohner gewährt, unterstreicht Simon Stones Revue auf unsere zeitgenössische Gesellschaft. Privatsphäre bleibt den Figuren dank der Glaswände keine und Vorhänge sind sowieso veraltet. Scheinbar abgeschottet vom Rest der Welt werden zu Beginn allmählich die Beziehungsgeflechte zwischen den Figuren entwirrt: Wer mit wem, und welche Macht wird dank welchen finanziellen Mitteln ausgeübt. Das Stück reißt die Abgründe auf, vor welchen selbst die Sonnenseite Wiens nicht gefeit ist. Das führt dazu, dass selbst die Bewohner*innen und Besucher*innen der Villa Eingeständnissen vollbringen, wie aufrichtig sie jedoch sind ist zu bezweifeln. Denn diese Bekundungen kommen wie Sisyphus´ Stein immer wieder ins Rollen:Immer wieder landen die Personen bei ihren eigenen Befindlichkeiten, obwohl eine Pandemie wütet und Menschen sterben oder ihre Arbeit verlieren. Die Hausangestellte Anita (Annamária Láng) scheint die Einzige unter den Versammelten zu sein, die diese Oberflächlichkeit nicht mehr aushält und dem Glaskasten den Rücken kehren will. Sie bleibt trotzdem, man wäre doch auf sie angewiesen und würde ihr zukünftig auch mehr zahlen. Stone entwirft ein ernüchterndes Bild der Gesellschaft, welches voll Ignoranz und Egoismus gezeichnet ist. Klischee ist ein Wort, dass überaus häufig fällt, doch dabei reproduzieren die Bewohner des Glaskastens nur ihre eigenen Vorurteile. Auch ihre Selbstreflexion macht nochmals nur deutlich, dass trotz politischem Bewusstsein der Wille zur Änderung durchgehend fehlt.
Die vier Stunden ziehen sich in die Länge, man will den Figuren aus einst Gorkis Geschichten nicht mehr zuhören, obwohl sie eindrücklich und grandios von den Schauspiele*innen verkörpert werden. Man erstickt beinahe an dem auf der Bühne herrschenden Selbstmitleid, was wohl auch die gewünschte Wirkung Stones ist. Die Plattitüden machen erschreckend deutlich, wie unsere durchaus reflexionsbereite Gesellschaft funktioniert: Die alleinige Erkenntnis, ein allgemeiner Weltschmerz und die Empathie für die Leidenden sind noch lange kein Erklimmen des Gipfels. Doch letztlich hilft anscheinend nur noch die Resignation und das abschließende Eingeständnis von dem Geschäftsführer Matthias. «Es ist aus, und wir sind selber schuld.» Knallhart führt Stone dem Publikum ein Spiegel vor Augen und ernüchtert bleibt man auch nach Schluss des Stücks zurück.