Theater in der Josefstadt /// 28. Oktober 2023 /// Lulu
Lulu, die Verführerin, geschrieben von Frank Wedekind im 19. Jahrhundert, bekommt durch die Ergänzungen von Regisseur Elmar Goerden eine Stimme, mit der sie ihr eigenes Werk kritisiert.
Lulu, das Stück über eine “Kindsfrau” mit ihren Männergeschichten sollte im 21. Jahrhundert aufgrund der unerträglich stereotypen Rollenbilder unbearbeitet nicht mehr aufgeführt werden. Daran hält sich auch das Theater in der Josefstadt (in ihrem Spielort in den Kammerspielen): Dem Originaltext werden Sequenzen hinzugefügt, in denen die Schauspieler:innen die Fassung aus dem 19. Jahrhundert kritisieren: “Das soll ich wirklich sagen?” Die eine gedruckte Ausgabe der Tragödie liegt in einer Vitrine seitlich (gar nicht so präsent) auf der Bühne. Während die Männer darauf beharren, dem Text treu zu bleiben, hinterfragt Lulu diesen. Schließlich muss sie sich ergeben und die ihr vorgegebene Rolle spielen, was sie manchmal auf eine monotone, manchmal auf eine rebellische Weise tut.
“Ich hätte mich nicht so geschrieben.”
So besteht diese “Lulu”-Aufführung aus zwei Texten: Der Vorlage von Frank Wedekind und den Ergänzungen von Elmar Goerden. Um diese voneinander trennen zu können, ist ein ausführliches Wissen zum Werk notwendig, da der Sprung nicht durch dramaturgische Mittel gekennzeichnet ist.
“Es gibt einen Unterschied zwischen zur Schau stellen und zur Schau gestellt werden.”
Auch optisch entspricht Lulu nicht der Vorstellung einer Verführerin, statt mit viel Haut tritt sie im Bussinesslook in Nadelstreifenhose und weißer Bluse auf. Ihr Äußeres wird selten kommentiert, außer in der ersten, sehr unangenehmen Szene, als drei (weiße, “alte”) Männer an ihr herumzupfen, um sie nach ihren Vorlieben zu formen, während sie reglos mit Rücken zum Publikum sitzt. Das Stück schließt mit der Frage nach seinem Zweck:
“Sollen wir daraus etwas lernen?”
Vor dieser Erkenntnis werden die zwei Stunden mit viel Klamauk gefüllt: Ist die Ausstattung in der Anfangszeit noch übersichtlich, so nehmen die Requisiten im zweiten Teil Fahrt auf: Maultrommel, Putzmittel, Spargel und weitere stilisierte Phallus -und Vulvasymbole werden, auch auf ordinäre Weise, eingebaut, nehmen dabei der Handlung aber Raum weg und ziehen das Stück in die Länge.
„Jetzt stellen Sie sich das doch nicht mal vor.“
So wie in vielen anderen Fassungen ist Lulu schwer zu greifen, es bleibt unklar, was sie denkt, was sie fühlt, wer sie wirklich ist. Ihre Gespräche bleiben oberflächlich oder sind von dauernden Unterbrechungen geprägt. Ihr Absturz aus der gehobenen Gesellschaft, in der sie die Kontrolle über ihre Liebschaften zu haben scheint, in die Prostitution geschieht zu rasch. In diese Entwicklung hätte mehr Zeit gesteckt werden sollen, anstatt in die abschließende Etappe in Paris, in der sich ähnliche Szenen wiederholen.
Fazit: Die pointierten Ergänzungen zum Original lassen den Zeitgeist hinterfragen, diese Kritik rückt durch den Klamauk und Längen leider phasenweise in den Hintergrund.
LULU
Frank Wedekind
In einer Bearbeitung von Elmar Goerden
Regie und Bearbeitung: Elmar Goerden | Bühnenbild und Video: Silvia Merlo | Bühnenbild und Video: Ulf Stengl | Kostüme: Lydia Kirchleitner | Licht: Sebastian Schubert | Dramaturgie: Matthias Asboth | Dramaturgie-Mitarbeit: Jacqueline Benedikt
Mit: Johanna Mahaffy | Susa Meyer | Joseph Lorenz | Michael König | Martin Niedermair
Mehr Informationen hier: Theater in der Josefstadt: Premieren 2023/24
Nächste Aufführungen: Do. 25. Jänner, Mi 28. Februar
Fotos: © Christian Wind