Burgtheater Wien /// 28. November 2023 /// Der Menschenfeind
Spiegel, Wasserlacken, wildes Tanzen: Martin Kušej kritisiert in seiner Inszenierung von Molières „Menschenfeind“ auch uns.
Alcest (Itay Tiran) eckt an, weil er den gesellschaftlichen Konventionen widerspricht und zu ehrlich ist. Damit macht er sich den Sänger Oronte (Markus Meyer) zum Feind, dessen Sonett er so verreißt, dass dieser eine politische Intrige gegen ihn ausheckt. Das nimmt Alcest wenig mit, da er sich im Recht fühlt. Zugleich kämpft er um die Liebe von Célimène (Mavie Hörbiger), die so ganz anders als er ist und der “Bussi-Bussi-Gesellschaft” angehört.
Textlich fügt Kušej der (präzisen, aber manchmal auch plumpen Übersetzung) von Hans Magnus Enzensberger aktuelle Anspielungen hinzu. Diese unterstützen die Handlung, wenn Klatsch und Tratsch über die Wiener Seitenblicke-Szene wiedergegeben wird; dabei sind sie lustig bis selbstkritisch, wenn der Regisseur und Burgtheater-Direktor selbst über sich herziehen lässt. Zu platt jedoch wird der Aktualitätsbezug jedoch , wenn Clitandre (Lukas Vogelsang) die Frage “Wie hältst du es mit dem Sebastian?” in den Raum stellt.
Eindrucksvoll ist das Bühnenbild (Martin Zehetgruber): Eine gigantische Glasfront wird die meiste Zeit zu einem Spiegel umgewandelt, was dafür sorgt, dass der Zuschauer:innenraum sich selbst in der Bühne reflektiert sieht. Kušej hält uns einen Spiegel vor – auch wir sind Teil der oberflächlichen, heuchlerischen Gesellschaft. Außerdem bietet die Spiegelung der Schauspieler:innen interessante Effekte. Aus Glas ist die Wand nur, wenn in Übergängen Komparsen auf der Bühne in unterschiedlicher Bekleidung wild tanzen: Bei Ball- und Trachtenkleidung ist das noch verständlich, da so das Stück in der oberen, patriotischen, Society verankert wird. Als sie schließlich jedoch in Dessous sowie Lack- und Leder-Outfits auftreten, beschleicht einen das Gefühl, dass Kušej dem Sprechtheater krampfhaft außergewöhnliche künstlerische Elemente hinzufügen wollte.
Zusätzlich befinden sich auf der Bühne Wasserlacken, in welche die Darsteller:innen immer wieder unabsichtlich treten, was wohl eine symbolische Bedeutung hat. Erst in der letzten Szene übersieht selbst die sonst so souveräne Celimene die Pfütze.
Abgesehen von diesen Elementen sind keine Requisiten vorhanden und es ist tatsächlich erfrischend, klassisches Sprechtheater ohne viel Firlefanz zu erleben, in dem die Darsteller:innen einfach miteinander reden. Leider wird aber die Handlung nicht greifbar: Die Intrige gegen Alcest kommt nebenbei auf, großteils steht die Liebesgeschichte zwischen Alcest und Célimène im Mittelpunkt. Warum die beiden nicht zueinander finden, bleibt unklar und die Charaktere machen keine Entwicklung durch. Dazu trägt auch das nüchterne Schauspiel bei, das vor allem Mavie Hörbiger als Célimène keinen Spielraum für eine emotionale Ausgestaltung ihrer Rolle lässt. Immerhin ist ihr Kostüm (Heide Kastler) eindrucksvoll und stellt in Schwarz einen guten Kontrast zum weißen Anzug Alcests dar. Ihre Freundin-Konkurrentin Asinoé (Alexandrea Henkel) verkommt in ihrem biederen Nadelstreifenkostüm zu der Karikatur einer prüden Frau.
Fazit: Eine interessante Ausstattung lenkt leider nicht davon ab, dass die Handlung auf eine unverständliche Liebesgeschichte mit Kritik an der aktuellen Heuchelei reduziert wurde.
DER MENSCHENFEIND
von Molière
Aus dem Französischen von Hans Magnus Enzensberger
Regie: Martin Kušej | Bühnenbild: Martin Zehetgruber | Bühnenbild-Mitarbeit: Stephanie Wagner | Kostüm: Heide Kastler | Musik: Bert Wrede | Licht: Reinhard Traub | Dramaturgie: Anika Steinhoff
Mit: Itay Tiran | Mavie Hörbiger | Christoph Luser | Markus Meyer | Lili Winderlich | Alexandra Henkel | Tilman Tuppy | Lukas Vogelsang | Christoph Griesser | Hans Dieter Knebel
Mehr Informationen hier: Der Menschenfeind | Burgtheater
Nächste Vorstellungen: Mo 27.11., Fr 1.12., So 10.12., Fr 15.12., Sa 30.12.
Fotos: © Matthias Horn