Kosmos Theater /// 06.04.2024 /// Nestbeschmutzung
Mit Nestbeschmutzung hat das Institut für Medien, Politik und Theater ein Stück geschaffen, das die die schöne Fassade der Hochkultur oft ironisch, manchmal belehrend zertrümmert, sodass Strukturen des Machtmissbrauchs zum Vorschein kommen.
Am Anfang war das Wort, das Wort war bei – dem Dramaturgen, dem Regisseur; meist ein Mann, manchmal sogar ein Genie. Und ein Genie darf alles, oder? Das Ensemble anschreien, bei der Probe mit Stühlen um sich werfen oder auch mal einer Schauspielerin zwischen die Beine greifen, denn „die Emotion muss von da kommen“. In einer (gar nicht so) fiktiven Fernsehsendung wird der Theatermacher vulgo Täter dann in den Himmel gelobt, für seine tabubrechende Art der künstlerischen Leitung.
Missbrauch hat System
In den letzten Monaten scheinen die Missstände in der Kulturbranche endlich hinter der vorgehaltenen Hand hervorzutreten: Dokumentationen wie ‚Gegen das Schweigen‘ zeigen die Omnipräsenz von Übergriffen am Theater. Viele Betroffene sind nun bereit, darüber zu reden, was hinter den Kulissen vorgeht. Das interdisziplinäre Institut für Medien, Politik und Theater (Felix Hafner, Jennifer Weiss, Anna Wielander) hat zugehört und Expert*innen hinzugezogen, um diese Produktion so tragisch lebensnah zu werden lassen, wie sie ist, und das System hinter all diesen ‚Einzelfällen‘ zum Vorschein zu bringen.
Platzhalter der vielen
Die drei Schauspieler*innen (Tamara Semzov, Birgit Stöger, Mervan Ürkmez) schlüpfen mühelos und sympathisch in ihre vielfältigen Rollen. Sie sind keine Charaktere und spielen keine Szenen; sie sind die Platzhalter der vielen und ahmen Situationen nach, die so normalerweise hinter statt auf der Bühne stattfinden. Die Dialoge wirken konstruiert – gerade dadurch entsteht eine Distanz, welche den schweren Stoff mit einer überraschend humorvollen Wirkung ausstellt. Was nach außen hin als Absurdität erscheint, wird von den Figuren in der Raucherecke für ein selbstverständliches Charakteristikum der Theaterbranche befunden. Die gezeigten Ausschnitte aus dem Leben von Kulturmacher*innen sind nur lose aneinander gebunden: Momente ausgelassenen Feierns und der Solidarität wechseln sich ab mit frustrierenden bürokratischen Endlosschleifen, die der Versuch einer Anzeige unangemessenen Verhaltens mit sich bringt.
Eine gelungene Nestbeschmutzung
In den aufstrebenden Theaterpersönlichkeiten sitzt der Traum, Menschen von der Bühne aus zu bewegen, aber sie finden sich in einer Realität wieder, in der sie von despotischen Intendant*innen abhängig sind und Ungerechtigkeiten aushalten müssen, um ihre Anstellung nicht zu verlieren. Die Produktion beschränkt sich jedoch nicht auf die Opferperspektive: Ein interaktives Zwischenspiel regt den*die Zuseher*in zur Reflexion an, inwiefern er*sie nicht auch von ungerechten Machtverhältnissen profitiert. Besonders jenen, die sich das noch nicht so oft gefragt haben, sei das Stück nahegelegt – aber auch auf alle anderen wartet eine gelungene Nestbeschmutzung, ein nichts beschönigendes Theater über das Theater.
NESTBESCHMUTZUNG
Uraufführung am Kosmos Theater, Eigenproduktion des Instituts für Medien, Politik und Theater
Mit: Tamara Semzov, Birgit Stöger, Mervan Ürkmez | Konzept, Text, Recherche: Institut für Medien, Politik und Theater (Felix Hafner, Jennifer Weiss, Anna Wielander)
Kosmos Theater: Mehr Informationen & Tickets
Institut für Medien, Politik und Theater
Weitere Termine:
10.*/11.**/12./13./17./18./19./20. April um jeweils 20 Uhr
* Einführungsgespräch um 19 Uhr
** Publikumsgespräch im Anschluss
Fotos: © Bettina Frenzel