Theater Nestroyhof/Hamakom /// 20. November 2021 /// One Way / Ein Trip im Train mit Musik
Kurz vor dem neuesten Lockdown macht der Nestroyhof in “One Way” eine Zugfahrt zum Ausgangspunkt eines innovativen Theaterstücks voller Musik, Politik und Science-Fiction – Rückfahrt wird es keine geben.
Auf einer Zugfahrt treffen unterschiedliche Menschen aufeinander: Der Zugführer, der seinen letzten Arbeitstag mit zu viel Alkohol feiert, die Zugbegleiterin, die Ordnung sehr ernst nimmt, die Opernsängerin, die frustriert ist, weil sie immer nur die rassistisch motivierte Figur Carmen singen darf, der Filmemacher, der seinen Vater finden will, der korrupte Politiker, der glaubt, sich mit Geld alles kaufen zu können, die ukrainische Pflegerin, die einen Mord plant, ihr Ehemann, der ihr den Plan ausreden will und das esoterische Hippie-Paar, das ein Kind erwartet.
Im ersten Teil des Stücks stellen die Figuren ihre Geschichten vor – singend, da für “One Way” eigene Lieder geschrieben wurden. Je nach Charakter werden dafür unterschiedliche Musikstile verwendet, von Austropop über Rap bis zur Oper ist alles dabei. Die von Clemens Wenger von 5/8erl in Ehrn und Lukas Meschik entwickelten Lieder sind allesamt Ohrwürmer, auf die Wiederholung der Refrains hätte aber verzichtet werden können, da die Songs die erste Stunde langwierig werden lassen.
Doch was als ein Stück über die Beziehung und Geschichten der Zugreisenden beginnt, entwickelt sich in der zweiten Stunde zu einem wilden Ritt: Da übernimmt der Zug in Gestalt eines allwissenden, manipulierenden Computers die Macht, da finden Orgien statt, da erstehen Tote wieder auf, da führt alles in ein apokalyptisches Ende. In diesem Teil entfaltet das Ensemble seine Spielfreude, die gemeinsamen Musikstücke mit Choreographie reißen mit. Es bleibt bis zum letzten Moment spannend, obwohl es nach einem vermeintlichen Ende noch weiter geht.
Trotz der Absurdität der Handlung werden tiefgreifende gesellschaftliche Themen eingebaut (Text: Ibrahim Amir): Gezeigt wird, wie schnell sich Menschen manipulieren lassen und wie schwer es ist, der Masse Widerstand zu leisten. Aber auch Korruption, Umweltschutz, Ausbeutung, Sexismus und Rassismus werden angesprochen. Gerade die Probleme unter denen Migrant*innen leiden, sind in verschiedenen Personen präsent. Sehr positiv sticht in diesem Kontext das diverse Ensemble hervor, das selbstverständlich in unterschiedlichen Akzenten spricht und deren Figuren Diskriminierungserfahrungen thematisieren. Zu plump und offensichtlich erfolgen jedoch die Kommentare zur politischen Lage, die zu bloßen Zitaten der berühmten Chat-Nachrichten verkommen und manchmal ins Vulgäre gleiten.
Insgesamt will das von Ibrahim Amir geschriebene und Michael Scheidl inszenierte Stück aber zu viel: Mit all den Ideen, Themen und Persönlichkeiten hätten locker drei unterschiedliche Abende gefüllt werden können. Alles zusammen gestaltet sich nicht nur teilweise langwierig, es verliert an Tiefe und hinterlässt stellenweise Verwirrung. Dennoch ein sehr besonderes Stück, das mit großartiger Musik, interessanten Charakteren sowie Gesellschaftskritik besticht und hoffentlich nach dem Lockdown wieder aufgeführt wird.