Theater Arche /// 03. November 2021 /// Stilübungen
Ein Alltagsgeschehen welches 156-mal immer wieder neu erzählt wird? In «Exercises de Stil» tut der französische Dichter Raymond Queneau genau das, indem er das Eigenleben der Pariser Buslinie S beleuchtet. Eine Synonym-Schlacht welche die Lachmuskeln nicht unverschont lässt. Mit der deutschen Neuübersetzung nimmt sich das Theater Arche im Rahmen des Odyssee-Festivals Queneaus Geschichte an und geizt auch auf der Bühne nicht mit humorvollen Ausschmückungen einer auf ersten Blick banal wirkenden Erzählung.
Eine Bushaltestelle mit 4 leeren Stühlen, ein umgekipptes Klavier, ein Musiker und 2 Erzähler*innen. Mehr braucht es nicht um die skurrilen Geschichten von Raymond Quenaeu darzustellen. Eine Begegnung in der Buslinie S, die sich quer durch Paris schlängelt, wird aus verschiedenen Perspektiven erzählt; ein junger huttragender Mann fühlt sich im wahrsten Sinne des Wortes von einem Mitfahrenden auf die Füße getreten. Jedes Mal beim Ein- und Aussteigen würde besagter Mitfahrer ihm scheinbar absichtlich über die Schuhe trampeln. Ein kleiner verbaler Aufstand entsteht, ein Busgemenge, welcher sich jedoch wieder legt, sobald der junge Mann einen freien Sitzplatz ergattert. Später wird eben jener junge Mann mit einem Freund gesichtet, welcher ihm den modischen Ratschlag gibt, einen weiteren Knopf an seinem Hemd zu befestigen. Auf 156 Weisen erzählt Quenaeu diese Geschichte durch die Augen verschiedener Passanten der Buslinie S. Ein literarischer Sprachschatz tut sich auf, denn jeder Augenzeuge beschreibt das Geschehene anders. Die Augen der Beobachter, ob Arzt oder Journalist, sehen alle das Gleiche. Erst deren verschiedene Erzählweise zeigt, wie unterschiedlich ein Ereignis wahrgenommen werden kann..
Facettenreich sind auch die Figuren, die Marie-Therese Lind und Georg Beham-Kreuzbauer auf die Bühne bringen. Sie glänzen mit Eigenheit, Verschrobenheit und besonders mit ihren sprachlichen Feinheiten. Diese zeichnen sich meistens jedoch nicht über den Inhalt ihrer Erzählung aus, sondern durch ihre oft urige Aussprache und Dialekte. Das alteingesessene österreichische Rentnerpaar, ein Schweizer Pfarrer mit einem schmutzigen Geheimnis, die verzweifelt englisch sprechende Schauspielerin sowie eine französische Sängerin, sie alle sind vertreten. Während des Stücks taucht das Duo jeweils abwechselnd sowie teilweise zusammen auf der Bühne in die Erzählwelt der verschiedenen Passant*innen und schlüpft scheinbar mühelos in deren Haut. Dabei bringen die beiden das Publikum mit diversen Sichtweisen auf den jungen Hutträger der Linie S zum Lachen. Und es tut gut mal wieder zu lachen im Theater.
Jedoch werden teilweise die literarischen Feinheiten Queneaus und dessen Blick auf seine Umgebung und deren Bewohner unter der Flut an Akzenten, den pantomimisch angehauchten Gesten und den pointierten Einsätzen des Musikers Ruei-Ran “Algy” Wu vergraben. Alles in allem ein runder komödiantischer Abend der zum Schmunzeln bringt und einen dazu verleitet, bei der nächsten Busfahrt die Augen offen zu halten.